Ilja Johannes, geb. 12. September 2011

Ein heißer Sommer. Mit meinem Kind im Bauch schwimme ich täglich über den See und genieße die Vorstellung, dass es sich wie ich im Wasser bewegt. Somit ist die Anschaffung eines Gebärpools für die Geburt in den eigenen vier Wänden obligatorisch. Was das Element „Wasser“ betrifft habe ich während des Gebärens ein mentales Bild des Titicacasees vor Augen. Ausgehend von der Isla del Sol sieht man die bolivianische Gebirgskette „cordillera real“ – im Vordergrund ist sehr klares, blaues Wasser des höchsten beschiffbaren Sees der Erde zu sehen. Dieses mentale Bild kann ich mir während der Wehen – vielleicht sage ich besser Wellen – wieder innerlich herholen und somit ein Gefühl von der Leichtigkeit Lateinamerikas in mir tragen.

Kurz vor dem Geburtstermin meines Sohnes lerne ich für eine Prüfung in Persönlichkeitspsychologie. Prompt kündigt sich Ilja am Vortag der Prüfung an – 16 Tage vor dem errechneten Termin. Am Samstag - einen Tag vor dem eigentlichen Geburts-Tag untersucht mich Martina und stellt Senkwehen fest. Am Sonntag beim Sehen des Tatorts gruselt mich. Die Wellen kommen 8, später 6 minütig. Mein Mann spricht immer noch von Senkwehen und meint, ich solle mich mental auf die Prüfung konzentrieren. Es ist schon nach 3 Uhr nachts als ich wütend werde, da ich weiß, dass es sich um Geburtswehen handelt. Um 4 Uhr rufen wir Martina an. Die Wellen kommen in 3 bis 2 minütigem Abstand. Martina kommt schnell und beginnt sofort mit mir zu Tönen, was mir das Aushalten dieser Wellen immens erleichtert. Die Hauptkraft während der Geburt bekomme ich aus dem gemeinsamen Tönen und der Präsenz Martinas und meines Mannes. Ich bin überzeugt, dass diese Präsenz, welche oft in Kliniken nicht derart intensiv gegeben ist, die Kraft freilegt für ein Gebären ohne Schmerzmittel.

Mein Mann baut den Pool auf und schneidet mir Ananas und Erdbeeren. Martina misst Herztöne, tönt mit mir und hält mir bei den Wellen die Hand. Sie dokumentiert, was sie tut, unterbricht ihre Dokumentation aber bei jeder Welle.  Bald kann ich im Wasser weitertönen. Ich komme mir vor wie ein zappelnder Fisch. Aber ich fürchte mich davor, das Wasser zu verlassen, da ich ahne, dass es einiges an Schmerzen nimmt. Als es zu einem kurzen Herztonabfall kommt, muss ich aus dem Wasser gehen. Die Herztöne stabilisieren sich und das Köpfchen gebäre ich sehr schnell in der tiefen Hocke vor unserem Sofa. Mein Mann hält mich unter den Armen und ich lehne mich an. Ich höre auf laut zu tönen sondern atme nach unten hin aus.  Ich erlebe die Presswehen als sehr schmerzvoll, will aber zielstrebig das Kind nach unten schieben und habe keine Zeit, mir über die Schmerzen Gedanken zu machen. Ein Glücksgefühl löst aus, als Martina sagt, sie könne die Haare des Kindes spüren. Das motiviert, weiterzuschieben, da ich das Köpfchen endlich sehen möchte. Es ist eine sehr gute Position zum Gebären, die Martina uns da vorgeschlagen hatte.

Unser Sohn wird zwar rosig und mit normaler Herzfrequenz geboren, Martina erscheint sein Muskeltonus aber zu schlaff und sie vermutet eine Neugeboreneninfektion. Deshalb wird Ilja vom Notarzt in die Kinderklinik verlegt. Dort entwickelt sich auch noch eine hartnäckige Neugeborenengelbsucht. Was dann folgt, ist unfassbar. Einige Blutwerte stimmen nicht, was die nächsten Wochen kennzeichnet. Wir machen äußerst schlechte Erfahrungen in der örtlichen Klinik, welche Kinder zwar medizinisch versorgt, aber wenig Wert auf Mutter-Kind-Bindung und Körperkontakt legt. Die Bindungsunfreundlichkeit dieses Krankenhauses und das Gefühl, fremdbestimmt zu werden, kostet mich als Psychologiedozentin sehr viel Kraft. Wichtig ist auch in dieser Zeit die intensive Geburtsnachsorge durch Martina, welche viel Zeit bei mir im Krankenhaus verbringt. Als wir nach Hause dürfen und sich die Werte wieder verschlechtern, lassen wir uns in ein anthroposophisches Krankenhaus einweisen. Gott sei Dank erleben wir nun das positive Gegenstück zu unseren Erfahrungen. Positiv sind auch die vielen Hausbesuche Martinas bei uns in der Zeit nach dem Krankenhaus, in der wir immer wieder um unser Kind bangen und uns fragen, ob wir noch mal in die Klinik müssen.

Ob ich wieder eine Hausgeburt machen würde? Es gibt Menschen, die argumentieren, wenn ich gleich in der Klinik geboren hätte, hätten wir uns die Verlegung von Ilja sparen können. Diese Argumentation ist nicht richtig. Es lag nicht an der Hausgeburt, dass das Kind eine Neugeboreneninfektion hatte. Auch aus dem Kreißsaal hätte Ilja zügig auf die Kinderintensivstation verlegt werden müssen. So hatte ich eine sanfte Geburt ohne Schmerzmittel, ohne Manipulation, ohne Diskussionen über Maßnahmen mit Ärzten – eine Geburt aus eigener Kraft – die ich ohne Hartmut und Martina nicht so geschafft hätte.

 

Andernorts unterrichte ich Bindungstheorie. Am eigenen Kind wurde die Sache mit der Bindung rücksichtslos verletzt. Das tut heute noch weh. Die Hausgeburt als Geburtserfahrung möchte ich dennoch nicht missen. Sehr schön war die Geburtsvorbereitung samt Fußreflexzonenmassage – einfach der ganzheitliche Ansatz, den Martina verwirklicht.

Die unkomplizierte Geburt war erst durch dieses langsam gewachsene Vertrauensverhältnis möglich. Was Martina an Kraft und Zeit investiert in der Vorsorge, zahlt sich aus. Und es sind nicht immer nur schwere und komplizierte oder gar medizinische Gespräche. Manchmal tut es auch gut, über Literatur oder den Urlaub zu reden und auch das gehört zur Geburts-vorbereitung, zum gemeinsamen „sich aufeinander einlassen“. Wie vielleicht aus meinem Bericht deutlich wurde, geht es in der Begleitung in der Schwangerschaft häufig um Mentales. Diesen Fokus hat Martina absolut. Sehr häufig steuert die Psyche das Wohlbefinden. Intensive psychosoziale Begleitung gepaart mit einem langjährigen Erfahrungsschatz bewirken sicher oft mehr als Apparatemedizin und Risikoabsicherung. Aufgabe der Paare ist, in diesen Schatz und in die eigene Kraft zu vertrauen. Ein Bild der einen Methode gegen die andere ist das Bild Davids gegen Goliath. Aber Hoffnung macht: Das weiche Wasser höhlt den Stein.                                                                                

Karin, Hartmut und Ilja Johannes