Der Segen einer Hausgeburt

Nach unserer Hochzeit war ich ein wenig wehmütig. Es war ein schönes Fest gewesen, Freunde hatten uns nach Hause gefahren, jetzt war ich mit Daniel daheim und wollte die Zeit anhalten. Wann werde ich in unseren Augen wieder dieses Strahlen sehen dürfen? Wohl nur bei der Geburt eines Kindes. 

Ein halbes Jahr verging und wir wurden langsam ein bisschen unruhig. Auf Fragen „Und wann ist es bei euch so weit?“ reagierten wir zunehmend gereizt. Wir haben dadurch gelernt, anderen gegenüber auch sensibler zu sein. Daniel hat schon eine Tochter, ich bin gesund und habe einen regelmäßigen Zyklus. Aber man weiß ja nie. In einem Monat an dem ich nicht damit gerechnet hatte, blieb die Temperatur auch einen Tag über der Zeit noch hoch. Ich machte früh morgens einen Schwangerschaftstest. Gleich weckte ich Daniel und vorsichtig tasteten wir uns an unser Glück heran. Es kann ja noch so viel passieren. Für unser Kind beteten wir gemeinsam. 

Mir war klar, zur Vorsorge werde ich zu einer Hebamme gehen. Ich wollte auch von Anfang an das Kind zuhause auf die Welt bringen. Aber - wieso auch immer - ging ich in der nächsten Woche doch zum Arzt. Die unpersönliche Behandlung und die anonyme Atmosphäre haben mich in meinem Vorhaben das Kind daheim zu gebären nur bestärkt.

Dann ging das Leben erst mal wie gewohnt weiter. Es war Frühjahr: mir ging es gut, also ging es unserem Kind auch gut. Ich war nur andauernd müde und kam ohne Mittagsschlaf nicht durch den Tag und abends war ich auch platt.

In der Landwirtschaft gab es viel zu tun. So blieb die Suche nach einer Hebamme etwas auf der Strecke. Die Erste mit der wir uns trafen betreut keine Hausgeburten, bei der Zweiten hatte ich ein komisches Gefühl. Schon das Telefongespräch verlief nicht gut und bevor wir zu ihr gefahren sind, war ich richtig schlecht gelaunt. Ihr hatten wir eigentlich schon zugesagt, da hab ich im Internet die Seite von Martina gefunden und sie spontan angerufen. Bei ihr stimmte die Chemie schon am Telefon, was sich im persönlichen Gespräch nur bestätigte. Also hatten wir unsere Hebamme. Daniel ließ gar nicht so an sich heran, dass wir uns mit Martina auf eine Hausgeburt vorbereiteten, er hatte traumatische Erinnerungen an die Saugglockengeburt seiner Tochter vor acht Jahren.

Bei der ersten Vorsorge war dann auch fast die halbe Schwangerschaft um und unser Kind strampelte schon kräftig, aber die Zeit reichte noch gut für eine intensive Auseinandersetzung mit unseren Vergangenheiten und unserer Beziehung – dank Martina. Während Daniel am Anfang nicht ganz begriff, warum er sich als Mann auch für ihre Besuche Zeit nehmen sollte, freuten wir uns bald schon gemeinsam auf ihre Besuche mit den intensiven Gesprächen.

Daniel hat in der Vorbereitung einen viel längeren Weg zurückgelegt. So war am Anfang nicht mal klar, ob er bei der Geburt überhaupt dabei sein will und zuhause schon gleich gar nicht. Nachdem er aber mehr über Hausgeburt erfuhr und Vertrauen zu Martina fasste war ihm bald klar, dass natürliches Gebären zu Hause der einzige gangbare Weg für uns ist. Aber eine gewisse Restunsicherheit bzw. Angst blieb. So fragte er am Tag vor der Geburt plötzlich, ob wir nicht eine gute Freundin von uns fragen, ob sie sich als Reserve bereit hält, wenn er nicht mehr kann. Das taten wir dann auch, aber so richtig ernst nahm ich ihn dabei nicht. Ich tat es als Torschlusspanik ab und wusste, dass es mit seiner Traumatisierung zu tun hat.

Die ersten sechs Monate ging es mir wirklich sehr gut. Außer ein paar Pausen mehr und das Vermeiden von allzu schweren Arbeiten ging alles so weiter. Schlepper fuhr unser Kind gerne, da war es immer ganz ruhig auch mal mehrere Stunden lang. Ansonsten war ich mir sicher ein lebhaftes Kind zu haben.

Dann meldete sich plötzlich mein Körper mit einem harten Bauch und bremste meinen Aktivismus. Von heute auf morgen ließ ich das Melken weitgehend bleiben und langsam ging es mir dann wieder besser. 

Meine einzige Sorge war, ob sich unser Kind auch mit dem Kopf nach unten einstellt. Ein paar Wochen vor der Geburt trat es auch wirklich in einen Sitzstreik. Ich brauchte einen Tag, um mir darüber klar zu werden, was mich beschäftigte. Wir beschlossen eine wichtige betriebliche Entscheidung, die uns ganz schön beschäftigte, auf die Zeit nach die Geburt zu verlegen. Daraufhin war ich ruhiger und das Kind drehte sich tatsächlich nach zwei Tagen wieder.

Was uns beiden zum Schluss der Schwangerschaft viel Sicherheit gegeben hat, war die intensive Dammmassage, die wir machten. Wir staunten sehr über den schnellen Fortschritt der Elastizität.

Die Geburt

In der Nacht wachte ich auf und spürte ein regelmäßiges Ziehen im Bauch, so alle 10 min. Ich begann bei den Wehen bewusster zu atmen und döste weiter vor mich hin. Daniel weckte ich heute schon um 5 Uhr, da der Strom abgeschaltet werden sollte und bis dahin ja alle Kühe gemolken sein müssen. Selber blieb ich wie in den letzten Wochen noch liegen und kam erst 2 Stunden später nach, um die Kälber zu versorgen. Daniel hatte sie schon getränkt so fütterte ich nur schnell meine Ziegen und ließ die Hühner raus. Wieder im Haus ließ ich mich in der Küche im Sessel nieder und verspeiste wie jeden Morgen eine große Schüssel Grießbrei. Daniel wollte möglichst bald weg um einem Freund beim Stallbau zu helfen. Er musste mir aber eine Telefonliste schreiben wo er erreichbar ist, Handy haben wir beide keines. 

Tagsüber genoss ich die Ruhe im Haus und kam ganz bei mir selber an. Mittags legte ich mich nochmal hin und schlief auch ein bisschen. Danach beim Kälber tränken veratmete ich die Wehen schon vorn übergebeugt auf etwas abgestützt. Aber der Gang durch den Stall tat mir gut und ich vergewisserte mich, dass alle gut versorgt sind. 

Daniel kam schon um 16 Uhr heim. Er war unruhig und wollte zu mir. Ich schickte ihn erst mal Feuer machen, wegen der Stromabschaltung konnten wir unter tags nicht heizen – also keine Heizung und kein warmes Wasser.  

So um 18 Uhr kam Daniel zum vespern rein und ich wollte auch ein bisschen essen, kam aber vor immer kürzeren Wehenabständen kaum dazu. Daraufhin beschloss Daniel Martina anzurufen.

Martinas Diagnose: Der Muttermund ist weich und leicht geöffnet und ihr Rat war, mich warm zu halten (keine kalten Füße!), zu kuscheln und vor allem auszuruhen. Es kann weiter gehen oder auch nicht. Bei mir blieb die Botschaft hängen: es dauert vielleicht noch ein paar Tage, ein bisschen Vorarbeit ist geschafft und das ist auch gut so und jetzt ausruhen, solange es geht.

Mit Wärmflasche und Daniel kuschelte ich mich ins Bett. Das ging nur 2 Wehen gut, dann musste ich die Wehen im Vierfüsslerstand veratmen, kam aus dem Liegen nicht schnell genug hoch, wollte also lieber sitzen bleiben. Daniel verzog sich mit Ohrstöpsel und Gehörschutz ins Wohnzimmer aufs Sofa. Er hatte einen langen Tag hinter sich und wollte noch ein bisschen schlafen. Das gelang ihm nicht recht, ich atmete schon recht intensiv. Er kam wieder und ich probierte unterschiedliche Stellungen aus, bis wir dann im Bad landeten, wo ich die Wehen vornübergebeugt auf die Wickelkommode aufgestützt veratmete. Daniel hielt meine Hüfte und rieb mir das Kreuz. Er versuchte mit mir zu atmen, ich bat ihn aber das zu lassen. Er atmete zu hoch in den Brustkorb und das hat mich mehr verunsichert als mir geholfen. Einmal atmete ich durch den Mund ein, daraufhin musste ich mich übergeben. In den Pausen saß ich auf einem Stuhl direkt vor der Kommode. Die Abstände waren recht kurz – wohl keine 5 Minuten. Nach einiger Zeit ließen meine Kräfte nach. Daniel ließ die Badewanne voll laufen und versorgte mich mit Traubenzucker und Birne. Ich saß recht erschöpft auf meinem Stuhl und es brauchte eine Weile bis wir so recht merkten, dass die Wehen auch nachließen. Ich veratmete sie jetzt sitzend. Nachdem die letzte „große Wehe“ schon eine ganze Weile her war, zogen wir wieder um ins Schlafzimmer. In die Wanne wollte ich nicht, am Ende wären die Wehen wieder mehr geworden und ich war für die Pause doch dankbar. 

Daniel legte sich ins Bett und schlief auch bald ein. Wir waren überzeugt, dass das Kind erst in ein paar Tagen kommt. Mittlerweile taten mir die Knie weh vom vielen auf den Fersen sitzen. Ich schlich so ums Bett herum auf der Suche nach einer bequemen Position und versuchte zu ruhen. Aber im Liegen kam ich auch mit diesen schwachen Wehen nicht zurecht. Irgendwann bemerkte ich dann einen Ausfluss und dachte an den Schleimpfropf. Langsam wurden die Wehen wieder intensiver und der Schleimpfropf war wohl doch eher Fruchtwasser, auf alle Fälle tröpfelte es jetzt so vor sich hin. Daniel wachte wieder auf und rief sofort Martina an. Bis sie kam hatte ich wieder kräftige Wehen, blieb im Vierfüssler im Bett, war aber eher unruhig. Martina untersuchte mich: der Muttermund war bis auf einen Saum vollständig eröffnet! Welche Überraschung! Und die Herztöne waren auch in Ordnung. Martina ermutigte mich dem Druck nachzugeben – welche Erleichterung! Und sie meinte ich solle mehr trinken. Ein ganzes Glas habe ich noch im Bett geschafft. Die Wehen vorn übergebeugt und auf Daniel abgestützt. Ich war nicht recht zufrieden. Wir probierten noch einiges aus. Am Bettrand auf einen Stuhl abgestützt, mal wollte ich Druck im Kreuz, mal lieber Reiben. Dann musste ich aufs Klo. Dort saß ich gut, lehnte mich in den Pausen hinten an und veratmete die Wehen gegen Daniel oder Martina gelehnt. Die beiden hatten dabei alle Hände voll zu tun: das Schlafzimmer herrichten, den Pool rein bringen und füllen...

Mich versorgten sie mit Wasser und meistens war auch bei den Wehen wer da. Ich trank noch recht fleißig und irgendwann ermutigte mich Martina nach dem Köpfchen zu fühlen und es war schon gut zu ertasten. Dann wollte sie langsam, dass ich von der Toilette weg gehe – mir ging es dort aber recht gut, außer dass es im Kreuz zog. Irgendwann fing die Klitoris an zu brennen. Ich fürchtete mich ein wenig, dass es noch viel stärker wird. Doch bevor ich noch viel Angst haben konnte bugsierte mich Martina zielstrebig ins Schlafzimmer. Dort ging ich von Daniel gestützt erst mal in die tiefe Hocke. Ich war sehr konzentriert und ganz tief bei mir. Nahm noch wahr, dass Martina das Wasser für den Pool abdrehte und den Schlauch raus brachte, um die Tür zu schließen. Nach ein paar Wehen schlug Martina vor, auf den Gebärehocker zu gehen, um mein Gewicht ablegen zu können. Das tat sehr gut. Martina legte mir einen Wickel mit heißem Kaffee vor den Damm, das entspannte. Auch wenn die Spannung an der Klitoris höher war als am Damm. Ich lehnte mich ganz in Daniels Arme und Martina ermahnte mich, den Kopf nach vorn zu nehmen und mich nicht nach hinten zu überstrecken, so hätte ich mehr Kraft. Die Augen fest geschlossen spürte ich, wie unser Kind langsam auf die Welt kam. Einmal habe ich die Augen kurz geöffnet und das Bild hat sich mir wie ein Foto eingeprägt: Das halbe Kind war schon da, der ganz ovale Kopf und die Schultern schon geboren. Aber ich brauchte meine ganze Konzentration und da störte das Schauen nur. Erst als mir Martina unser frisch geborenes Kind auf den Bauch legte konnte ich die Augen wieder öffnen. Und da lag unser frisches Kind nun auf meinem Bauch. Ich streichelt es und redete leise mit ihm. Daniel war ganz ergriffen und weinte ebenfalls. Bald darauf kam auch die Nachgeburt, der Damm war intakt und ich legte mich danach ins Bett. Martina half beim Stillen. Erst stellte er sich ein bisschen an, aber dann trank er ganz lange. Während Daniel und Martina aufräumten nuckelte er an meiner Brust. Nach dem Aufräumen sprach Daniel den Psalm 121 und wir segneten unser Kind. Nachdem er dann fertig mit trinken war, hat Martina ihn untersucht, gewogen und angezogen.

Anschließend verständigte Daniel die Großeltern in München und seine Eltern im gleichen Haus, die gar nicht glauben konnten die Geburt verschlafen zu haben. Nach ein paar Stunden Schlaf bekam unser Kind seinen Namen: Jonas.

Erst ganz langsam wurde mir bewusst, was für eine Gnade wir gleich bei unserer ersten Geburt erleben durften: der Frieden, die gewohnte Umgebung und vor allem diese gewaltige Geburtsenergie. Unbeschreiblich!

Wir bedanken uns von ganzem Herzen bei Martina, die uns so wunderbar begleitet hat und mit der wir hoffentlich noch weitere Geburten erleben dürfen.