Geburt zu Hause?!

Der 02. Mai 2015 war der voraussichtliche Geburtstermin für das zweite Kind meiner Tochter Maria. Ihr erstes Kind war gerade 2,8 Jahre alt, ein idealer Abstand also fürs Geschwisterchen. 

Leider wohnen wir ca. 300 km voneinander entfernt. Ich komme aus Thüringen, Maria lebt mit ihrer Familie in Baden-Württemberg. 

Je näher der Geburtstermin rückte, um so unruhiger wurde ich. Maria hatte sich schon Monate vorher gewünscht, dass ich sie zur Zeit der Entbindung besuchen komme und dann Söhnchen Oskar betreue, wenn es soweit ist. Denn Maria hatte sich für eine Hausgeburt entschieden, ihr Mann bzw. im Notfall eine nette Nachbarin wollten der Hebamme assistieren. 

Als am 05. Mai immer noch kein Anzeichen zu verzeichnen war, dass die Geburt unmittelbar bevorsteht, nahm ich kurz entschlossen 3 Tage Urlaub, um mit dem Zug nach Crailsheim zu düsen. Leider streikte genau ab diesem Tag die Deutsche Bahn und es fuhr kein Zug mehr, die gesamte Woche nicht. Nur mit Hilfe meiner jüngeren Tochter Maika, die spontan einen Mietwagen nahm, kamen wir schliesslich doch noch am 05. Mai spät abends am Ziel an. 

Das Baby liess auf sich warten, es sollte noch ganze vier Tage dauern, bis es so weit war. Maika war inzwischen wieder abgereist, weil sie arbeiten musste. 

Zwar akzeptierte ich die Entscheidung meiner Tochter Maria, ihr zweites Kind zu Hause zu entbinden (das erste kam im Krankenhaus zur Welt), aber innerlich war ich dagegen. Niemals wäre ich auf den Gedanken gekommen, eine Geburt zu Hause zu wollen! Was da alles passieren kann! Ganz ohne moderne Technik, ohne Ärzte, ohne klinische Sterilität, was ist, wenn es Komplikationen gibt...?! 

Ich hatte damals meine beiden Töchter im Krankenhaus zur Welt gebracht, so wie es auch heute noch die meisten Frauen für den einzig richtigen Weg halten. Auch wenn oft nicht gerade die besten Erfahrungen mit selbst erlebten Krankenhausentbindungen verbunden sind...

Dann lernte ich am 07.05.2015 zum ersten Mal Marias Hebamme kennen. Martina Eirich ist eine der wenigen Hebammen in Baden-Württemberg, die seit 20 Jahren nach wie vor Hausgeburten durchführt. 

Trotz drastisch erhöhter Berufshaftpflichtversicherungsbeiträge ab dem Jahr 2010 hat Hebamme Martina ihren Beruf und speziell die Begleitung von Hausgeburten nicht aufgegeben, so wie aus wirtschaftlichen und anderen Überlegungen viele ihrer Kolleginnen. Immerhin gehört zum Hebammenberuf auch eine unbezahlte 24-stündige Rufbereitschaft an jedem Tag des Jahres(!), so dass eine längerfristige Freizeitplanung mit der eigenen Familie kaum möglich ist. Unvorstellbar, aber es gibt für freiberufliche Hebammen (bis auf die Urlaubszeit) keine freien Tage, keine Wochenenden, die man planen kann, die Freizeit wird jeden Tag aufs Neue den beruflichen Erfordernissen untergeordnet. So entscheidet Hebamme Martina täglich mit ihrer Familie spontan, was man in gemeinsamen freien Stunden unternehmen könnte - bis ein Anruf eingeht, dass gerade wieder bei einer werdenden Mutter die Wehen eingesetzt haben...    

Martina Eirich hat mir alle wesentlichen Fragen zur bevorstehenden Hausgeburt meiner Tochter Maria beantwortet und sich dabei Zeit für mich bzw. uns genommen. Schon seit Wochen hatte sie regelmässig meine Tochter zu Hause besucht und während der Untersuchungen durch Gespräche ein freundschaftliches Vertrauensverhältnis aufgebaut. 

Hebamme Martina überzeugte mich durch Beispiele aus ihrer praktischen Arbeit davon, dass eine Hausgeburt für die gebärende Frau meist besser und entspannter abläuft als eine Krankenhausentbindung. Das Herausreissen der werdenden Mutter im Moment der beginnenden Geburt in eine völlig neue Umgebung mit fremden Menschen (wechselndem Krankenhauspersonal), vorgegebenen Tagesabläufen und Krankenhausregeln bewirkt meist, dass der Geburtsvorgang zunächst unterbrochen und später durch wehenfördernde Medikamente fortgesetzt wird. Die gebärende Frau steht dann unter Stress, der nicht sein muss. 

Ich war letztlich bei der Hausgeburt von Baby Elsa mit dabei, und zwar als Assistentin der Hebamme. Ich erlebte mit, wie die Hebamme meiner Tochter Mut machte, ihr Anweisungen gab, sie lobte, Schmerzen wegmassierte, mit ihr um die Wette schrie und genau im richtigen Moment das Richtige tat. Die Geburt ging relativ schnell vonstatten und meine Tochter war schon kurze Zeit später wieder in der Lage, munter zu erzählen und zu lachen – völlig gelöst, ganz anders als nach der 18-stündigen Geburtstortour im Krankenhaus im Jahr 2012.

Ja, insgesamt war alles anders verlaufen als geplant, aber das war zurückblickend gut so. Wäre das Baby pünktlich am 02. Mai geboren worden, hätte die Bahn nicht die gesamte Woche lang gestreikt, wäre die liebe Nachbarin nicht mit ihrem Mann am 09. Mai zur Messe gefahren, wäre klein Oskar nicht gerade mit seinem Vater unterwegs gewesen, wäre die Geburt nicht so rasch verlaufen, hätte ich dieses wunderbare Erlebnis der Hausgeburt nicht gehabt.

Abschliessend kann ich werdenden Müttern nur raten, sich ruhig einmal unvoreingenommen mit dem Gedanken an eine Hausgeburt zu befassen. So lange nicht von Anfang an medizinische Gründe dagegen sprechen, sollte die Geburt eines Kindes möglichst in vertrauter Umgebung und so natürlich wie möglich erfolgen. Wenn weder die gebärende Mutter noch ihr ungeborenes Kind durch äussere Einflüsse gestresst werden, wird die Geburt besser, schneller und unkomplizierter ablaufen. Ich habe es selbst miterlebt und dadurch meine frühere Meinung geändert, dass nur das Krankenhaus der bestmögliche Ort für eine Entbindung ist. 

Auch ist mir bewusst geworden, dass der Hebammenberuf mehr öffentliche Aufmerksamkeit verdient und dass unbedingt die Arbeitsbedingungen in dieser Branche verbessert werden müssen, was Aufgabe der Politiker ist. Die Verantwortung im Hebammenberuf ist vergleichbar hoch wie die bei Ärzten, nur dass Hebammen erheblich schlechter sozial abegsichert sind. Und ohne Hebammen wird es wohl keine Hausgeburten mehr geben...  

Interessante Literatur zum Thema (mit diversen Tatsachenberichten zu Hausgeburten) kann ich wie folgt empfehlen: „Luxus Privatgeburt“ von Martina Eirich und Caroline Oblasser.