Benjamin

„Ich fürchte, da ist etwas nicht in Ordnung!“ meint die Frauenärztin in der 18. Schwangerschaftswoche beim Ultraschall, zwei Stunden später in der Klinik die Gewissheit: dieses Kind wird nicht lebensfähig sein, eine große Wasseransammlung im Bauch behindert die Lungenentwicklung und das Herz. Drei Wochen später einige weitere Erkenntnisse: schwerer Herzfehler, Auffälligkeiten im Gehirn, wenig Fruchtwasser, weil die Nieren nichts ausscheiden - Trisomie 18. Die Ärzte vermuten, dass das Kind noch im Mutterleib sterben wird oder spätestens kurz nach der Geburt. Sie halten unseren Wunsch, das Kind, sollte es lebend geboren werden, in unseren Armen sterben zu lassen anstatt auf einer Intensivstation, für legitim.

 

Von Beginn an bestehen für mich keine Zweifel an dieser traurigen Diagnose (die auch ich im Ultraschall mit eigenen Augen erkennen kann). Bereits in den Tagen vor der Untersuchung hatte ich das wage Gefühl, dass dieses Kind sich anders bewegt als mein erstes. Und doch: in mir drinnen ist es so heil, so selbstverständlich. Wenn ich traurig und verzweifelt bin, wenn ich in der Nacht wach liege und schreien möchte: immer bringt es mir Trost, Kontakt zu meinem Kind aufzunehmen. Es kommt mir so gerne entgegen, es ist so unschuldig, es setzt so viel Vertrauen in mich.

 

Wir entscheiden uns dafür, uns nicht zu entscheiden[1], Woche für Woche neu zu erfühlen, was das Beste für uns alle ist. Die Zeit erhält eine neue Bedeutung: es ist die Zeit des Wartens auf einen unvorhersehbaren Endpunkt dieser Schwangerschaft. Und es ist die einzige Zeit, die ich mit diesem Kind verbringen darf. Beides bringt mich sehr stark in die Gegenwart. Die Gewissheit, nicht alles in der Hand zu haben, nicht für alles verantwortlich zu sein, tut gut.

 

Unsere Gedanken kreisen nunmehr um die Fragen:

Was kann ich mir und was können Ingo und ich uns in dieser Schwangerschaft noch geben?

Was kann dieses Kind uns noch geben?

Was können wir unserem Kind noch geben?

 

Unsere Freundin, die Hebamme Martina Eirich, ist unsere allererste Anlaufstelle. In langen Telefongesprächen und über e-Mails hilft sie uns, uns über unsere Gefühle klar zu werden, bestärkt uns in dem, was wir wollen und fühlen, gibt uns fachlich sehr kompetent Auskunft und findet viele Mut machende Worte.

 

Weil wir von Beginn an keine Sprachlosigkeit zwischen uns entstehen lassen und uns über unsere Bedürfnisse klar werden wollen, nehmen Ingo und ich die Begleitung durch eine Psychotherapeutin in Anspruch. Bald schon entpuppt sich das als eines der Geschenke unseres Kindes: wir nehmen uns Zeit für einander, auf Ebenen, die sonst im Alltag oft verborgen bleiben.

 

Eine Ärztin für Traditionelle Chinesische Medizin und ein Osteopath helfen mir dabei, mein Energieniveau (das wohl schon einige Jahre lang ausgebeutet worden war) wieder anzuheben. Das führt dazu, dass ich mich nach der Diagnose bald körperlich stärker zu fühlen beginne als in den Monaten davor. Meine Frauenärztin bietet mir an, mich terminlich einzuschieben, wann immer ich das Bedürfnis nach einer Untersuchung habe.

 

Wir versuchen, offen auf die häufig gestellte Frage „Wie geht es euch?“ zu antworten. Viele unserer Freunde und Verwandten sagen bereits nach kurzem Nachdenken: „Ich verstehe euch, ich würde mich auch so entscheiden.“ Nur ganz wenige fragen „Warum lässt du nicht abtreiben?“ An dieser Frage verwundert mich immer die passive Formulierung, die nebulose Vorstellung: Das ist ja nicht etwas, was einfach so mit mir geschehen würde, ich würde es aktiv zu bewältigen haben. Wenn es so einfach wäre, ein Kind aus sich herauszureißen, würde man Kinder ja gar nicht austragen können.[2]

 

Mein Gefühl sträubt sich nicht alleine wegen des Kindes gegen eine vorzeitige Einleitung, auch ich selbst bin noch gar nicht bereit für eine Geburt, und schon gar nicht für eine eingeleitete. Das hat nichts mit einem Klammern an irgendwelche Hoffnungen, mit einem Nicht-Akzeptieren-Können der Realität (wie ich das auch zwei, drei Mal zu hören kriege) zu tun. Ich bin mir einfach sicher, dass es auch für mich das Beste wäre, mich während der Geburt und in der Zeit danach auf meinen körpereigenen Hormoncocktail verlassen zu können.

 

Ich lerne, mich zwischen Gegensätzen hin und her zu bewegen: Angst und Zuversicht, Stärke und Schwäche, Sinn und Unsinn. - Am Schwierigsten ist der Widerspruch, zum Kind hin zu fühlen, gleichzeitig mit dem Wunsch, dass es nicht mehr lebt und mit der Freude darüber, dass es doch noch lebt. Als ich mir immer sicherer zu sein glaube, dass das Kind bis zum Geburtstermin leben wird, lege ich meine Hand mit der Gewissheit auf den Bauch, mein Kind zu spüren und nicht in der Erwartung, es nicht mehr zu spüren, das ist viel schöner.

 

Zwar erlebe ich auch Zeiten von Trauer, lese über Verluste in der frühen Lebenszeit, beschäftige mich mit dem Abschied und ziehe Trost aus dem Wunsch nach einer Hausgeburt und den Gedanken, wie wir den Weg mit unserem Kind eigenverantwortlich und selbst bestimmt zu Ende gehen könnten. – Doch jetzt lebt mein Kind, mein Körper ist auf sein Leben programmiert, nur so kann ich mir erklären, dass das vorherrschende Gefühl in diesen Wochen keinesfalls Trauer ist. Oft freuen wir uns darüber, dass unser Kind noch einiges mit uns erleben darf, was uns wichtig ist.

 

Auch wenn es Zeiten gibt, in denen ich mein Kind nicht willkommen heißen kann, in denen es schwer zu tragen ist: mein Körper gibt ihm zu jeder Zeit alles, was es braucht, das tröstet mich. Ich werde sehr sensibel und kann tiefe Freude empfinden an allem, was mir gut tut: eine Massage, ein Frust-Loswerde-Gespräch mit Ingo, Lachen mit unserer zweijährigen Gunda, ein Spaziergang mit einer Freundin, die mir zuhört und mich versteht, meditieren… - Wenn ich es mir gut gehen lassen kann, erlebe ich die Schwangerschaft nicht als Belastung, dann macht es mir nichts aus, noch ein, zwei oder drei Monate länger schwanger zu sein. Das ist meine Aufgabe im Moment und sicher nicht die schwierigste, die das Leben stellen kann.

 

Ingo setzt sich bereits ab dem Zeitpunkt der Diagnose sehr intensiv mit unserer Situation auseinander und unterstützt mich wo immer es ihm möglich ist. Zunächst fällt es ihm noch sehr schwer, in Beziehung mit unserem kranken Kind zu treten, später wird es sogar selbstverständlich für ihn, mit seinem Ohr an meinem Bauch Herztöne zu hören. Davor, dass mein Bauch dicker wird, haben wir uns zu Beginn gefürchtet, nun gehört auch das dazu: man soll ruhig etwas sehen von unserem Kind.

 

Das Kind liegt bereits in Schädellage, die Wasseransammlung im Bauch könnte man wahrscheinlich zu Geburtsbeginn oder knapp vor dem Geburtstermin abpunktieren, aber es wäre möglich, dass es auch im Kopf zu Wassereinlagerungen kommt. Sollte sich abzeichnen, dass dadurch ein Kaiserschnitt notwendig wird, wäre das ein Grund für mich, über eine vorzeitige Einleitung der Geburt nachzudenken…

 

Und dann fügt sich alles so, wie wir es nie planen hätten können. Ein Mittwoch in der 31. Schwangerschaftswoche. Ich komme um 15 Uhr von meiner Arbeit in der Apotheke nach Hause, schlafe mit Gunda bis halb sechs am Abend. Ingo fährt zu einer Besprechung. Mich befällt plötzlich eine große Traurigkeit, ich lege mich mit Gunda aufs Sofa, wir hören Musik und schauen Kinderbücher an. Ich versuche, zu meinem ungeborenen Kind Kontakt aufzunehmen, aber es ist viel zurückhaltender als sonst.

 

Erst um halb zehn bringe ich Gunda ins Bett. Ich lege mich neben sie und spüre plötzlich, dass ich viel Fruchtwasser verliere (viel mehr, als ich zu haben geglaubt hatte). Gemeinsam mit Gunda stehe ich wieder auf, sie spielt, während ich versuche, eine österreichische Hebamme zu erreichen und unsere Freundin und Hebamme Martina, die vier Autostunden entfernt in Deutschland wohnt, verständige. Bevor Birgit, die österreichische Hebamme, kommt, schläft Gunda ein. Birgit bestätigt: ja, es ist ein Blasensprung, der Muttermund 1 cm offen. Wehen habe ich noch keine, wir werden alle versuchen, noch so viel wie möglich zu schlafen. Ingo kommt um halb 12 Uhr nachts. Er fühlt sich überfordert, hat Angst davor, wie es sein wird, ein totes Kind in der Wohnung zu haben. Ich reagiere verärgert, ich kann und will mich jetzt nicht mit dem Tod beschäftigen, sondern mit der Geburt. Das Gefühl, dass mein Wunsch nach einer Hausgeburt in greifbare Nähe gerückt ist, gibt mir viel Kraft. Genug Kraft, um auch für Ingo noch ein wenig da sein zu können, der allmählich wieder Vertrauen fasst und den Rest der Nacht recht gut schläft.

 

Ich lege mich in das andere Zimmer, um Gunda und Ingo nicht zu stören. Martina hat mich am Telefon darin bestärkt, mir Zeit zu lassen. Die Geburtssituation ist - obwohl manchmal ersehnt -  so plötzlich eingetreten. Ich habe meinem Kind noch so viel zu sagen, dafür ist jetzt der richtige Augenblick. Als dann etwa alle 15 Minuten Wehen kommen, „begrüße“ ich jede einzelne (wie ich das schon des Öfteren so kitschig in Geburtsberichten gelesen habe), sie sind noch gut im Bett liegend auszuhalten, dazwischen kann ich mich ausruhen. Störend ist allerdings der Reizhusten, der mich bereits seit eineinhalb Wochen plagt, so dass ich insgesamt wohl nur ein, zwei Stunden Schlaf finde.

 

Ingo fährt in der Früh nicht mehr zur Arbeit, wir brauchen ca. zwei Stunden, um Termine abzusagen, die Kinderbetreuung für Gunda zu organisieren, das Wichtigste für die Hausgeburt vorzubereiten – in dieser Zeit kommen die Wehen völlig zum Stillstand. Birgit untersucht mich nochmals: Muttermund 2 cm, kein schlechter Befund für die bisher unregelmäßige Wehentätigkeit, meint sie. Martina möchte mit ihrer Abfahrt trotzdem noch warten, es sei durchaus möglich, dass die Eröffnungsphase in dieser frühen Schwangerschaftswoche ein, zwei Tage dauere, meint sie. „Werde nicht ungeduldig!“, „Lass dir Zeit!“, „Sei bei dir!“ glaube ich zwischen ihren Worten herauszuhören.

 

Als Birgit um ca. 10 Uhr wieder heimfährt, lege ich mich für eine halbe Stunde in die Badewanne, die Wehen werden eher weniger, aber ich entspanne mich, versuche geduldig zu sein und konzentriere mich auf die Geburt. Anschließend höre ich Musik. Um 12 Uhr 15 rufe ich Martina an, dass sie nun bitte losfahren solle. Als Ingo um 12 Uhr 30 Gunda von einer Freundin abholt und meine Schwiegermutter kommt, um mit ihr spazieren zu gehen, lasse ich mich von den dreien nicht mehr von meinen Wehen ablenken. Und wenn ich mir in den Wehenpausen doch über irgend etwas Organisatorisches Gedanken machen will, sagt Ingo: „Dafür bist jetzt nicht du zuständig!“ Die vergangene Stunde habe ich auf einen Polsterberg gebeugt verbracht, die Wehen verarbeitend und mich dazwischen ausruhend. Ich esse eine Suppe und mache mir Sorgen, ob meine Kraft reichen wird.

 

Nun bitte ich Ingo, Birgit zu sagen, sie solle in einer Stunde kommen und steige wieder in die Badewanne. Kurz darauf: „Ingo, bitte ruf Birgit nochmals an und sag, dass ich schon einen leichten Pressdrang habe!“ Und gleich darauf: „Ingo, der Kopf ist geboren“. Eine kurze Pause, wie ich das von der ersten Geburt her kenne, Ingo fragt mich, was wir tun sollen und ich antworte ganz ruhig: „Ich bleibe im Wasser und wir warten jetzt ganz einfach.“ Mit der zweiten Presswehe wird unser Kind kurz nach 13 Uhr 30 geboren, ich nehme es im Wasser in Empfang.

 

Der Augenblick, weswegen alle Ärzte uns abgeraten hatten, eine Hausgeburt durchzuführen und vor dem freilich auch wir Angst gehabt hatten: wir erleben ihn ganz alleine und alles ist so selbstverständlich, so weit weg von jedem Horrorszenario. Wir betrachten unser kleines Kind, den dunklen Kopf, die Lippenspalte, die kurzen Arme und Beine mit den nach innen geklappten Händen und Füßen, den dicken Bauch, unser Kind. Unser Kind. Es bewegt seine Arme und Beine noch ein wenig im Wasser und das Schönste: es öffnet zwei Mal die Augen und blinzelt uns an. Ingo telefoniert mit Martina und fragt, was wir mit der Nabelschnur machen sollen, die es um den Kopf gewickelt hat, dann erst traue ich mich, sie ihm über den Kopf zu ziehen.

 

In der tiefen Hocke im Wasser warte ich auf die Plazenta, unser Kind halb im Wasser, halb in ein Tuch gewickelt an meinen Bauch gedrückt. Jetzt erst kommen wir auf die Idee, unter seinem dicken Bauch nachzuschauen: ein Bub. Wir nennen ihn Benjamin.

 

Birgit kommt, die Plazenta wird geboren, Ingo durchtrennt die Nabelschnur: er zögert, auch wenn inzwischen kein Blut mehr in der Nabelschnur ist, er möchte Benjamin nicht von seiner „Lebensader“ trennen. Während ich dusche, nimmt Ingo Benjamin in die Arme und setzt sich mit ihm in unser Bett. Ich kauere mich zu den beiden und wir weinen, dann nehme ich Benjamin auf meinen nackten Bauch, während er langsam und – da bin ich mir sicher – schmerzfrei dieses Leben verlässt.

 

Irgendwann macht sich Ingo auf den Weg, um Gunda und seine Mutter zu suchen und einen Geburtstagskuchen zu kaufen: bei aller Traurigkeit gibt es so vieles heute, wofür wir dankbar sind und das wir feiern möchten (abgesehen davon, dass ein Kuchen nie so gut schmeckt wie nach geleisteter Geburtsarbeit), Tränen und Lachen sind in solch mystischen, heiligen Augenblicken so nahe beisammen. Ingos Vater kommt, Martina, am Abend meine Eltern und auch der Gemeindearzt. Mit all unseren Geschwistern führen wir lange Telefongespräche. Benjamin liegt die ganze Zeit in unserer Mitte, zuerst in einem Nest in unserem Bett, dann im Wohnzimmer. Immer und immer wieder möchte ich ihn anschauen, streicheln. Ich bin stolz auf ihn, dass er sich seinen Geburtstag selbst gewählt hat und kann auch das Geschenk annehmen, das er mir damit gemacht hat, auch wenn ich ihn gleichzeitig noch bei mir haben möchte: „Warum ist er ausgerechnet jetzt auf die Welt gekommen?“ frage ich. „Damit du dich nicht so plagen musst!“ antwortet Martina.

 

Benjamin wird so sehr als Mensch wahrgenommen an diesem Tag und an den darauf folgenden, das ist der größte Trost für Ingo und mich.

 

In der ersten Nacht bleibt Ingos Mutter bei uns. Den Freitag verbringen seine beiden Eltern mit uns, sie sind auch dabei, als der Bestatter Benjamin am Nachmittag mitnimmt. Ingo, der zu Geburtsbeginn so große Bedenken hatte, ob wir ein totes Kind bei uns behalten könnten, meint wenige Stunden, bevor Benjamin abgeholt wird: „Ich weiß nicht, ob ich ihn jetzt schon hergeben kann.“ Ich empfinde genau so, wir nehmen uns viel Zeit, uns gemeinsam von unserem Sohn zu verabschieden, machen weitere Fotos, Fußabdrücke, reden mit ihm. Wir geben ihm persönliche Dinge von uns mit und erkundigen uns, wo und wie er aufgehoben sein wird, bis wir ihn am Montag in der Kirche nochmals sehen können. Dann fällt es uns ein wenig leichter, ihn gehen zu lassen.

 

Als die Schwiegereltern am Freitagabend wieder heimfahren, fühlen wir uns stark genug, um alleine zu sein und freuen uns sogar über die eingekehrte Ruhe.

 

Am Samstag haben wir ein langes Gespräch mit unserem evangelischen Pfarrer. Wir erzählen ihm Benjamins Geschichte und besprechen die Möglichkeiten für die Verabschiedung am Montag und die Urnenbeisetzung in einigen Wochen. Er ist sehr offen für unsere Wünsche und steht uns hilfreich zur Seite.

 

Wir trauern um Benjamin, in all seiner Außergewöhnlichkeit, nicht nur um das Kind, das er nicht geworden ist. Seinen Namen haben sowohl Ingo als auch ich intuitiv gewählt und wir finden nun immer mehr heraus, dass er sehr gut passt: Hatte ich zuerst nur die Assoziation „kleinster Sohn“ und dass der Name weich klingt, erinnert uns der Pfarrer daran, dass der Name in der biblischen Geschichte sehr viel mit loslassen können zu tun hat. Dass der Name Sohn des Glücks bedeutet, hatte ich bereits nachgeschlagen und mit den Hebammen darüber geredet: „Viel Glück hat er ja nicht gehabt“, habe ich gemeint. „Doch, er hatte sogar sehr viel Glück!“ sagten die Hebammen und auch der Pfarrer.

 

Bei der Verabschiedung in der Kirche am Montag Nachmittag, die gleichzeitig Benjamins Namensgebung ist, erfahren wir dann noch, dass der Sohn des Glücks in der Bibel ursprünglich Sohn des Schmerzes heißen hätte sollen. - Die Vorstellung, dass Benjamin nun verbrannt werden wird, dass sein Körper bald nicht mehr existieren wird, ist sehr schwer für uns (die Alternativen dazu sind noch weniger tröstend). Dass alle Großeltern Benjamins bei der Verabschiedung dabei sind, ist sehr schön für uns, ich glaube, es hat eine völlig neue Art von Verbundenheit zwischen uns hergestellt.

 

Als die Milch für Benjamin am Samstagabend zu fließen beginnt, ist das zwar traurig, aber gleichzeitig ein Andenken an unser Kind, an das schon jetzt so erschreckend wenig erinnert. Der Milchstau am Tag nach der Verabschiedung zeigt mir, dass nun die Zeit für viel Ruhe gekommen ist, das wirkt gemeinsam mit Homöopathie und einigen Wickeln sehr rasch.

 

Geborgenheit.

Die größtmögliche Gestaltungsfreiheit und Mitbestimmung von uns Eltern während der Geburt, beim Kennen lernen von Benjamin, beim Abschied und beim Loslassen.

Die Begleitung durch Hebammen, die uns bereits vor der Geburt beigestanden haben und auch in der Zeit nach der Geburt ein offenes Ohr für uns haben.

Gunda, die dieses für unsere Familie so einschneidende und prägende Ereignis in der Sicherheit unserer Wohnung erleben kann, keine Nacht getrennt von uns:

Eine Hausgeburt ermöglicht so selbstverständlich alles, was hilfreich für unseren Trauerprozess[3] sein wird.

 

Die Entscheidung für oder gegen Benjamins Leben hätte unter anderen Vorzeichen auch anders ausfallen können. Ich habe Respekt vor jederEntscheidung, die Eltern treffen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass dieser Weg für uns möglich wurde.

 

 

 


 

[1] Zitat von Katja Baumgarten, deren Film „Mein kleines Kind“ Ingo und mir in vielen Aspekten meiner Schwangerschaft aus der Seele spricht, uns Mut und Trost gibt und uns auf eine Geburt vorbereitet, die wir uns wünschen, auf die wir aber vorerst noch kaum zu hoffen wagen.

[2] Zitat Katja Baumgarten

[3] Vgl. Hannah Lothrop, „Gute Hoffnung – jähes Ende“: hier wird nicht auf die Möglichkeiten von Hausgeburten eingegangen, sondern durch die Einrichtung von „Trauerteams“ in Krankenhäusern sollen genau die oben erwähnten Kriterien erfüllt werden.