Arianes Geburt

Dienstag, 06.01.2009 – Wie immer führt mich morgens früh mein erster Weg zur Toilette, als ich zurück ins Bett schlüpfe habe ich Markus aufregende Neuigkeiten zu berichten: der Schleimpfropfen hat sich gelöst! Vielleicht geht es heute los? Es zieht auch leicht im Bauch und da ich sowieso duschen wollte beschließe ich bald darauf ein Bad zu nehmen. In der Badewanne wird das Ziehen eher mehr als weniger, hat das etwas zu bedeuten? 
Vormittags kommt Martina sowieso zum CTG (Termin war schon am 05.01.), ich lasse mich von ihr vaginal untersuchen, der Muttermund ist leicht geöffnet, das CTG zeigt leichte, unregelmäßige Wehen. Martina sagt es kann noch Tage dauern oder schon heute losgehen. Mein Gefühl sagt heute, aber auch weil ich es will… Und Dreikönig wäre doch ein gutes Geburtsdatum?!
Kaum ist Martina weg sind die Wehen wieder stärker. Nach einem kleinen Mittagessen habe ich schon das Bedürfnis mich nach oben, in unseren „Geburtsraum“ zurückzuziehen, Markus kommt bald nach. Wir richten alles her und kuscheln, irgendwann will ich Martina anrufen, am Telefon kommen wir überein, dass es noch dauert, ich soll mich melden, sobald ich sie brauche und versuchen einstweilen noch etwas zu liegen und falls möglich zu schlafen. Markus und ich kuscheln uns in Löffelchenstellung auf die Matratze am Boden und schlafen tatsächlich ein wenig, auch die Wehen werden weniger.
Als wir wieder wach sind werden auch die Wehen wieder stärker. Markus holt etwas zu Essen von unten, ich habe aber nicht viel Appetit und nach einem Müsliriegel erbreche ich mich auf der Toilette. Dort geht auch etwas Fruchtwasser ab. Ich will Martina anrufen, sie soll jetzt kommen. Martina sagt das wenige Fruchtwasser wäre wahrscheinlich ein hoher Blasensprung, sie kommt. Es ist mittlerweile 18 Uhr.
Ich sitze auf der Couch, an Markus gelehnt, der hinter mir sitzt, wir tönen gemeinsam. Die Schmerzen werden immer mehr, ich bin unruhig, fühle mich nicht wohl, will dass Martina bald kommt. Ich entschließe mich, dass Dagmar zum Fotografieren kommen soll, Markus ruft sie an. Eine gefühlte Ewigkeit später kommt Martina an, wenig später kommt auch Dagmar. Der Gebärmutterhals ist verstrichen, der Muttermund 4 cm offen. Ich bin froh schon einen guten Teil geschafft zu haben und denke es dauert bestimmt nicht mehr lange. 
Es ist ungefähr halb acht, Martina schlägt vor ich könnte in die Badewanne gehen, das mache ich. Die Wanne ist nicht sehr bequem, aber das Wasser tut gut, die Wehen werden stärker. Martina leitet mich an laut und frei zu tönen. Markus macht mit, dadurch fällt es mir leichter, ich mache mir Sorgen, ob es für die Anderen unten zu laut ist, vor allem für Emilia, meine kleine Nichte, Martina und Dagmar sagen, dass man unten fast nichts hört… Dagmar fotografiert immer wieder, ich merke es aber nur am Rande und bald gar nicht mehr, sie macht das super! In den nächsten 1 ½ Stunden bin ich ganz mit Atmen und Tönen beschäftigt, die Schmerzen sind sehr stark und mir reicht es eigentlich schon. 
Um dreiviertel Zehn gehe ich auf Martinas Vorschlag aus der Wanne, ziehe Wollsocken und ein T-Shirt an. Martina stellt fest, dass der Muttermund bis auf einen Saum, vollständig geöffnet ist. Ich freue mich und denke, da die Pressphase meist nur einige Wehen dauert, es ist jetzt fast vorbei. Ich probiere verschiedene Stellungen aus, erst Pezziball, dann Gebärhocker, den finde ich besser. Eine Stunde später, um 23 Uhr ist der Saum immer noch da. Martinas Äußerungen dazu und meine Vergleiche mit der relativ schnellen ersten Geburt meiner Schwester ergeben in mir das Gefühl, es gehe alles zu langsam, ich bin nicht gut genug, denke zuviel, kann es nicht geschehen lassen… Dabei komme ich gerade sehr gut mit den Wehen zurecht, kämpfe nicht an, sondern begrüße jede Welle und gebe dem Schmerz und der Wehe so viel Raum wie möglich. Das passt alles nicht zusammen, ich werde unsicher, hänge in der Luft, die Zeit verrinnt außerdem, es ist schon 23:30 und ich wollte doch heute noch gebären! Martina sagt die Wehen werden schwächer, sie geht mit Dagmar raus. Ich kenne das aus Martinas Buch und weiß, das ist jetzt also ein „Geburtsstillstand“. Woran könnte es liegen? Mir fallen verschiedene Themen ein, die ich verpasst habe mit Martina zu besprechen, nun ist es zu spät dafür. Ich versuche die Gedanken loszulassen und mich ganz auf die Wehen zu konzentrieren, aufs Tönen und Öffnen und auf Markus, das Kind und mich, das ist jetzt wichtig, es geht jetzt nur um uns, wir sind alleine und stark und ein gutes Team. Ich will das schaffen!!! Ich will mein Bestes geben! Ich finde zurück in meinen Rhythmus, versuche wieder jeder Wehe ganz Platz zu machen, mich ganz zu öffnen, die Kraft nach unten fließen zu lassen, den Muntermund mit Tönen und Gedanken zu öffnen. Dagmar und Martina kommen zurück. Martina schiebt während der Wehe den Saum etwas zurück (ist der immer noch da?!). Ich warte auf den Sturm, die Kraft, den Pressdrang, aber da ist nichts, nur mein Wille und meine Kraft. Martina sagt, ich müsse schon Pressdrang haben, habe ich aber nicht. Sie sagt, ich solle jetzt mal pressen „Schieb Dein Kind raus“. Ich denke „Wie - pressen ohne Presswehe?“ Aber ich vertraue und presse. Ich höre auf, auf den Sturm zu warten und fange an zu arbeiten. In tiefer Hocke anstrengende Pressarbeit, das T-Shirt habe ich schon lange ausgezogen. Mein Wille und meine Kraft sind unvermindert, ich will keine Pause. Martina feuert mich an: „Noch mal, wenn Du kannst, noch mal! Weiter weiter!“ Ich kann – ich presse.
Markus hält mich, er ist meine Stütze, mein Fels, in den Pausen hänge ich zwischen seinen Beinen, schließe die Augen und versuche mich zu entspannen. Wenn eine Wehe kommt, hole ich tief Luft und weiter geht’s. Sobald ich presse spüre ich die Wehe nicht mehr, sie wird von der Arbeit überdeckt, nur wenn ich Luft hole spüre ich, ob sie noch da ist. Presse entsprechend weiter, oder nicht. Noch immer kein Sturm, kein überwältigender, mitreißender Pressdrang, nur meine Arbeit, meine Kraft. Dann, um 0:45 Uhr soll ich mich plötzlich auf die Seite legen, ich will nicht, kann mir nicht vorstellen, wie das gehen soll. Markus befiehlt „ Hinlegen! Sofort!“ Sein Ton lässt kein „aber“ zu, er stützt mich, hilft mir. Ich liege eine Wehe rechts, dann links, weil die Herztöne während der Wehe stark abgefallen sind. Jetzt sind sie besser, Erleichterung auf allen Seiten. Ich begreife erst jetzt, um was es geht. Während vier Wehen muss ich liegen bleiben und darf nicht mitpressen. Es ist schwer auszuhalten, jetzt spüre ich auch den Pressdrang, aber nicht überwältigend stark. Dann darf ich wieder aufstehen und es geht weiter, die Herztöne sind und bleiben stabil. Ich darf jetzt nur noch maximal dreimal pro Wehe pressen, soll während den Pausen ganz bei Ariane sein und sie beruhigen. So arbeite ich weiter, ich will keine Pause, wir wollen beide fertig werden, es geschafft haben. Ariane geht es gut, ich habe das Gefühl, sie braucht jetzt auch keine Pause. Ich wechsle zwischen Hocke und Hocker und kann endlich auch den Kopf spüren. Ich dachte schon es tut sich gar nichts. Wenige Minuten später wird der Kopf geboren, welche Überraschung, es ist nicht nur ein Kopf, sondern auch ein Arm, eine Hand, kleine Finger. Ich kann sie tasten. Markus sagt: „Wir können schon Haare und die Fingernägel schneiden“. Und dann ist sie da, so wunderschön! (Es ist 1:53) Ich kann sie leider nicht richtig hochnehmen, die Nabelschnur ist zu kurz, aber ich halte sie an meinem Bauch, sie schaut mich an, wir haben es geschafft. Wir sind fit und unverletzt.

Erst später kapiere ich, wie knapp wir einer Verlegung ins Krankenhaus entgangen sind und bin froh und dankbar über Martinas Erfahrung und Coolness. In letzter Zeit habe ich viel darüber nachgedacht, warum die Geburt so abgelaufen ist und ob und unter welchen Umständen sie hätte anders verlaufen können. Nein, ich bin nicht zufrieden mit meiner ersten Geburt (mit dem Ergebnis natürlich schon!!), ich hatte mir vorher vorgenommen entspannt zu sein, es geschehen zu lassen und viel zu spüren. Das ist mir nicht gelungen. Heute bin ich mir sicher, es hatte viel mit Ängsten zu tun. Ich habe vor allem zwei aufgespürt. Die eine ist die Angst zu Versagen, nicht gut genug zu sein, es nicht zu Hause zu schaffen sondern in die Klinik zu müssen. Die andere ist die Angst davor mich zu öffnen, die Angst davor mein Innerstes preiszugeben, die Angst, dass das, was dann zum Vorschein kommt vielleicht peinlich sein könnte. Gebären ohne öffnen ist unmöglich – wie hätte ich entspannt sein sollen? Vor meiner zweiten Geburt habe ich noch etwas Arbeit vor mir, ich will meine Stärken besser nutzen und an meinen Schwächen arbeiten. Martina hatte kurz nach der Geburt zu mir gesagt, wenn ich irgendwann das Bedürfnis hätte mit ihr noch einmal über die Geburt zu sprechen, könne ich mich melden. Vor kurzem bin ich darauf zurückgekommen und es hat mir geholfen vieles klarer zu sehen. Es fällt mir immer noch schwer meine Probleme preiszugeben, aber ein Anfang ist geschafft… Danke Martina!