Stellungnahme der DGHWi zur Metaanalyse von Wax et al. (2010)
und dem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 5.7.2010 unter dem Titel
„Hausgeburten: Gut für die Mutter - riskant für das Kind“
sowie dem Artikel des aerzteblatt.de vom 5.7.2010 unter dem Titel
„Hausgeburt gefährlicher für den Säugling als für die Mutter“
Die Metaanalyse der Autoren Wax und Mitarbeiter (Beitrag SZ vom 05.07.2010; www.sueddeutsche.de/wissen/hausgeburten-gut-fuer-die-mutter-riskant-fuer-das-kind-1.970195) schloss englischsprachig veröffentlichte Studien von sieben „Westlichen Nationen“ ein, die die Outcomes (Gesund-heitsindikatoren) für Mütter und Neugeborene unterteilt nach geplantem Geburtsort in der Zusammenschau untersuchten. Eine niederländische Studie aus dem Jahr 2009 stellte dabei mit 88,2% den Hauptanteil des Kol-lektivs der Metaanalyse.
Während die mütterlichen Morbiditätsdaten in der zitierten Studie von Wax et al. differenziert aufgeführt wer-den, werden bei der kindlichen Morbidität überwiegend Einflussfaktoren auf die Geburt benannt (wie die Schwangerschaftswochen oder das Geburtsgewicht), die an sich keine „Outcomes“, wie beispielsweise eine nach der Geburt erforderliche künstliche Beatmung des Neugeborenen, darstellen. Es fehlen Hinweise auf wei-tere Outcomes, wie zum Beispiel Infektionsraten, Geburtsverletzungen oder eine Verlegungsfrequenz in die Kinderklinik zur neonatalen Intensivpflege. Aufgrund der Heterogenität der Daten in den eingeschlossenen Stu-dien konnte auch die Frequenz des 5-Minuten APGAR-Werts unter 7 nicht bestimmt werden. Insgesamt bleibt unklar, welche Zahlen genau aus welchen Erhebungsjahren für die einzelnen untersuchten Parameter genommen wurden.
Von den 12 eingeschlossenen Studien beziehen sich vier (33%) auf Geburten, die vor 1990 durchgeführt wur-den, obwohl – wie die Autoren selbst einräumen – „in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein signifikanter Rückgang in perinatalen Todesfällen beobachtet wurde, da laut Studienbelegen weniger Föten unter der Geburt Sauerstoffmangel erlitten“ (Übersetzung der Autorinnen). In der Studie von Wax et al. wird zwischen perinata-ler und neonataler Todesrate unterschieden. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass es keine signifikanten Unterschiede in der perinatalen Todesrate zwischen geplanten Haus- und Klinikgeburten gibt. Auch in der Rate der beatmeten Kinder werden keine Unterschiede sichtbar. Anzumerken ist, dass für letztere Aussage nur drei von insgesamt 12 Studien berücksichtigt wurden. Die besagte Studie aus den Niederlanden wurde hier nicht einbezogen. In der niederländischen Studie wurde als Outcomeparameter anstatt die Notwendigkeit, das Neuge-borene zu beatmen, die Verlegungsrate auf eine Neugeborenen-Intensivstation zugrunde gelegt. Hier zeigte sich, dass es keine Unterschiede gab zwischen geplanten Haus- und geplanten Klinikgeburten. Warum Wax et al. diese Studie in der Betrachtung der Erstversorgung des Kindes nicht mit berücksichtig haben, ist unklar. Es darf davon ausgegangen werden, dass die Notwendigkeit zu beatmen mit der Notwendigkeit einer Verlegung auf die Neugeborenen-Intensivstation einhergeht. Grundsätzlich muss die Frage gestellt werden, ob die dargestellten neonatalen (neonatal= Phase von der Geburt bis zum 28. Lebenstag des Kindes) Todesraten mit der Geburt in Zusammenhang gebracht werden können, wenn die Daten gleichzeitig zeigen, dass es keine signifikanten Un-terschiede in der perinatalen (perinatal = Phase rund um die Geburt bis zum siebten Lebenstag des Neugebore-nen) Todesrate und in der Notwendigkeit, die Kinder zu beatmen, oder auf eine Intensivstation zu verlegen zwi-
schen geplanten Haus- und Klinikgeburten gab. Unterschiede in den Todesraten machen sich offensichtlich erst nach dem siebten Lebenstag des Kindes bemerkbar. Herauszuheben ist außerdem, dass die Darstellung der peri-natalen Todesrate aus einem wesentlich größeren Gesamtkollektiv (507.109 Geburten) errechnet wurde als dies bei der neonatalen Todesrate (49.802 Geburten) der Fall war. Je seltener ein Ereignis – und der Tod eines Kin-des in den ersten 28 Lebenstagen ist zum Glück als ein solches zu bewerten – und je kleiner die zugrundelie-gende Stichprobe, desto größer ist die Chance, dass es sich bei den dargelegten statistischen Zusammenhängen um zufällige Ergebnisse handelt. In der Studie von Wax et al. lässt sich bereits mit den verwendeten statisti-schen Größen erkennen, dass trotz scheinbar zweifach höherem Risiko für einen kindlichen Todesfall in den ersten 28 Lebenstagen kein signifikanter Unterschied je nach geplantem Geburtsort zu bestehen scheint. Weite-re Berechnungen, um tatsächlich eine fundierte Aussage über die Sicherheit von Hausgeburten treffen zu kön-nen, sind hier dringend geboten. Zudem werden statistische Zusammenhänge und keine Kausalzusammenhänge dargestellt. Auch vor diesem Hintergrund ist eine Bewertung der geplanten Hausgeburt und der geplanten Kli-nikgeburt im Hinblick auf Mortalitätsraten als äußerst fragwürdig zu sehen.
In dem Artikel von Wax et al. wird nicht unterschieden, durch welches Personal die Haus- und Klinik-Geburten begleitet wurden. So werden Studien und deren Ergebnisse eingeschlossen und unkritisch zusammengeführt, deren Geburten durch so genannte „lay midwives“ (ohne formale Qualifikation), durch qualifizierte Hebammen oder durch ärztliche Geburtshelfer unterstützt wurden. Im Text wird pauschal angeführt, dass eine Differenzie-rung keine Unterschiede ergeben habe, jedoch werden diese nicht transparent dargestellt. Obwohl die Autoren feststellen, dass bei Ausschluss derjenigen Studien, deren Geburten durch „lay midwives“ begleitet wurden (immerhin drei Studien; 25%), kein signifikanter Unterschied (!) bestand zwischen der neonatalen Sterblich-keitsrate bei Hausgeburten im Vergleich zu Klinikgeburten, gehen die Autoren in ihrer Interpretation und Dis-kussion der Daten nicht mehr im Detail darauf ein. Sie stellen lediglich fest, dass aufgrund früherer großer Ko-hortenstudien schwangeren Frauen mit geringem Geburtsrisiko („low-risk“) eine Hausgeburt insbesondere mit qualifizierten Hebammen empfohlen werden kann, die voll in das existierende Gesundheitssystem integriert sind.
Der Kommentar der Autoren zu den Ergebnissen lässt eine kritische Beleuchtung der Methodik, mit welcher die einzelnen Studien durchgeführt wurden, vermissen. Sie räumen aber ein, dass die Ergebnisse aufgrund der Un-terschiedlichkeit der Studien mit Vorsicht interpretiert werden sollten. Bedenklich ist zum einen, dass nicht klar dargelegt wurde, zu welchem Zeitpunkt die Festlegung der Gruppe der geplanten Hausgeburten erfolgte (z.B. Wochen vor der Geburt oder bei Wehenbeginn). Zum anderen wurde auch nicht kritisch hinterfragt, ob die in den Studien erhobenen Angaben zur klinischen und außerklinischen Neugeborenensterblichkeit innerhalb der vorgegebenen Zeitspanne von 28 Tagen nach der Geburt überhaupt vollständig dokumentiert werden konnten, was insbesondere bei klinischen Geburten von Bedeutung ist, bei welchen aufgrund einer Entlassung keine wei-terführende Datenerhebung erfolgt.
Inhaltlich wird eine Verbindung hergestellt zwischen intrauterinem Sauerstoffmangel bzw. postpartaler Atemnot des Kindes und einem Mangel an Personal, Ausbildung und der für eine Wiederbelebung notwendigen Ausrüs-tung. Außerdem wird angedeutet, dass die neonatale Sterblichkeitsrate bei Hausgeburten mit dem geringen Ein-satz von medizinischen/ärztlichen Interventionen in Zusammenhang stehen könnte. Auf die sehr unterschiedli-chen Bedingungen der Hebammentätigkeit der klinischen und außerklinischen Geburtshilfe sowie die verschie-denen Gesundheitssysteme in den einzelnen Ländern, in welchen die Studien durchgeführt wurden, gehen die Autoren nur mit einem Satz ein, der darauf hinweist, dass die Ergebnisse nur begrenzt auf Frauen angewendet werden können, die sich für eine Hausgeburt in den Vereinigten Staaten entscheiden (zwei der Studien ohne qualifizierte Hebammen stammten aus den USA).
Michel C. Klein, MD, Emeritus Professor an der University of British Columbia spart nicht mit Kritik an der vorgelegten Studie: “Many of the studies from which the author’s conclusions are drawn are poor quality, out-
of-date, and based on discredited methodology.” In seiner Funktion als Direktor des Child and Family Research Institutes in Vancouver führt er weiter aus: “The conclusion that this study somehow confirms an increased risk for home birth is pure fiction. In fact, the study is so deeply flawed that the only real conclusion to draw is that the motive behind its publication has more to do with politics than with science.” In den Bundesländern New York und Massachusetts werden derzeit Gesetze verabschiedet, die den examinierten Hebammen erlauben, Ge-burtshilfe in allen Settings zu praktizieren. Nach Susan M. Jenkins, Legal Counsel for The Big Push for Midwi-ves Campaign (www.thebigpushformidwives.org), geht es um eine Behinderung dieser Errungenschaften. “Clearly the intent is to fuel fear-based myths about the safety of professional midwifery care in out-of-hospital settings. Their ultimate goal is obviously to defeat legislation that would both increase access to out-of-hospital maternity care for women and their families and increase competition for obstetricians.”
Es bleibt zu fragen, warum im Reviewprozess des American Journal of Obstetrics and Gynecology, das für sich in Anspruch nimmt, den höchsten Standard (Zitat: „the highest standards of excellence“;www.ajog.org/content/impact_teaser) einzuhalten, diese kritischen Fragen zur Methodik und zur inhaltli-chen Interpretation nicht aufgeworfen bzw. geklärt wurden.
Welche Relevanz haben diese Daten nun für die Hausgeburtshilfe in Deutschland?
Die Aussage der Metaanalyse von Wax et al. ist, dass Frauen, die zu Hause gebären, signifikant weniger medi-zinische Interventionen erfahren und signifikant weniger Beeinträchtigungen oder Verletzungen erleiden. Dar-über hinaus besteht kein statistisch signifikanter Unterschied bezüglich der neonatalen Mortalität, wenn – wie in Deutschland – eine qualifizierte (examinierte) bzw. staatlich anerkannte Hebamme die Hausgeburt begleitet.
Nach dem Hebammengesetz werden alle Geburten in Deutschland von Hebammen begleitet – auch geplante Hausgeburten. Die sehr gute mütterliche und kindliche Gesundheit (Outcomes) bei geplanten Hausgeburten in Deutschland werden durch die Dokumentation von außerklinischen Geburten belegt, die jährlich durch die Ge-sellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe (QUAG e. V.) analysiert werden (siehe www.quag.de/content/english.htm) und 2007 von Loytved und Wenzlaff unter dem Titel „Außerklinische Geburt in Deutschland – German Out-Of-Hospital Birth Study 2000-2004“ im Verlag Hans Huber, Bern, veröf-fentlich wurden (insgesamt 42.154 Geburten).
An die Adresse der Süddeutschen Zeitung, als Marktführer unter den überregionalen Qualitätstageszeitungen (http://mediadaten.sueddeutsche.de/home/), die laut Allgemeiner Geschäftsordnung ihre „veröffentlichten Arti-kel, Daten und Prognosen [...] mit größter Sorgfalt recherchiert“, sowie an den Deutschen Ärzte-Verlag GmbH, verantwortlich für die Webseite aerzteblatt.dewww.aerzteblatt.de/nachrichten/41849/Hausgeburt_gefaehrlicher_fuer_den_Saeugling_als_fuer_die_Mutter.htm), ist die Anmerkung zu richten, dass es doch sehr verwundert, dass
1. nicht dargestellt wurde, auf welche Studien sich die Ergebnisse beziehen,
2. keine kritische Beleuchtung des Artikels und seiner Ergebnisse zur peri- und neonatalen Sterblichkeit erfolgte und
3. den Leserinnen und Lesern kein Hinweis gegeben wurde, dass sich diese Ergebnisse nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen lassen, da es hier in Deutschland ausschließlich examinierte Hebammen gibt!
12.7.2010 – www.dghwi.de