Meine Erstgeburt, wie im Bilderbuch

Einen Tag vor dem errechneten Geburtstermin erwachte ich um halb sechs Uhr morgens mit dem Gedanken: „Könnte das eine Wehe gewesen sein?“ Ich bemerkte, dass ich viel Fruchtwasser verlor. Als ich mich wieder ins Bett legte um abzuwarten und mich noch so gut wie möglich auszurasten, kamen in der Wärme bald schon recht regelmäßige Wehen (Abstand 5 bis 10 Minuten). Um halb sieben sagte ich es meinem Mann, der genau so überrascht war wie ich, dass es schon losging. Noch waren wir uns nicht sicher, ob er trotzdem zur Arbeit fahren sollte, denn wir hatten bisher nur von vorzeitigen Blasensprüngen gehört, bei denen sich die Wehen sehr langsam entwickelten.
 
Um halb acht vermuteten wir jedoch, dass das Geburtsgeschehen bereits gut in Gang kam. Mein Mann meldete sich von seiner Arbeitsstelle ab und ich verständigte die Hebammen: Unsere österreichische Hebamme Susanne hatte schlecht Zeit, daher sprach sie mit ihrer Vertretung Sigrid (die ich zum Glück ebenfalls bereits kannte). Mit unserer deutschen Freundin und Hebamme Martina vereinbarte ich, dass sie Sigrids Untersuchungsbefund abwarten und danach ihre vier Stunden lange Autofahrt zu uns antreten würde. Sowohl Susanne als auch Martina meinten, ich hätte gleich nach dem Blasensprung anrufen sollen, was mich aber (da ich die Entscheidung nun einmal getroffen hatte) nicht aus der Ruhe brachte. Interessant für mich war, dass die Wehen während dieser Phase des Organisierens fast völlig aussetzten, sich aber sofort wieder entwickelten, als ich mich ins Bett legte.
 
Um halb neun kam Sigrid, stellte fest, dass der Muttermund bereits zwei bis drei cm geöffnet war und Martina gleich losstarten solle. Sigrid, mein Mann und ich hatten das Gefühl, dass Sigrid ruhig wieder heimfahren könne, da sie innerhalb von zehn Minuten wieder bei uns sein konnte, sobald ich sie brauchte. In den folgenden zwei Stunden konnten sich mein Mann und ich gut und in Ruhe auf die Situation einstellen. Mein Mann vervollständigte, was ich schon für die Hausgeburt vorbereitet hatte, ich „veratmete“ die Wehen meist im Vierfüßlerstand, mit den Armen auf Bett oder Sofa aufgestützt. In den Wehenpausen wollte ich mich anfangs liegend erholen, die nächste Wehe kam aber immer so rasch, dass ich Schwierigkeiten hatte, rechtzeitig wieder in den für mich wesentlich angenehmeren Vierfüßlerstand zu gelangen. Auch zum Frühstücken hatte ich kaum Gelegenheit (insgesamt aß ich ein Marmeladebrot, trank während der gesamten Geburt viel Kamillentee und lutschte während der Pressphase ein halbes Stück Traubenzucker). Es tat mir gut, wenn mein Mann mit seinen Händen einen leichten Druck auf mein Steißbein ausübte, massiert werden wollte ich eher nicht; während der Wehen wollte ich mich konzentrieren, dazwischen einfach nur ausrasten.
 
Ab halb elf wurden die Wehen deutlich heftiger und ich hatte das Gefühl, nun allmählich Hilfe gebrauchen zu können, daher rief ich Sigrid wieder an, die um halb zwölf bei uns eintraf. Der Muttermund war jetzt fünf bis sechs cm geöffnet, ich wollte in die Badewanne und Sigrid meinte, nun wäre ein guter Zeitpunkt dafür. Im Wasser konnte ich mich sehr gut entspannen und die Wehen wesentlich besser verarbeiten. Bald schon setzten ein Ziehen nach unten und ein leichter Pressdrang ein, was ich zum Teil sogar als lustvoll empfand.
 
Kurz vor eins traf Martina ein. Wir entschieden zusammen, dass sie nun die Geburtsbetreuung übernehmen solle und Sigrid nach Hause fahren könne. Nach ca. eineinhalb Stunden in der Badewanne brauchte ich nun einen Positionswechsel, da Arme und Beine zu kribbeln begannen. Der Muttermund war bis auf einen Saum, denn Martina jetzt während einer Wehe gut zurückschieben konnte, vollständig geöffnet. Die nächste Zeit verbrachte ich abwechselnd auf dem Gebärhocker, im Vierfüßlerstand und in der tiefen Hocke. Bald begannen die ersten Presswehen, Martina machte einen Dammwickel mit Kaffee, dann wollte ich zurück in die Badewanne. Der Pressdrang wurde rasch kräftiger, ich spürte, wie sich das Kind tiefer schob und presste bei jeder Wehe ca. drei Mal kräftig mit. Zuerst waren die Wehen in Rückenlage am angenehmsten, dann schlug mir Martina vor, im Wasser in die Hocke zu gehen. Nach einer Stunde (15 Uhr) verließ ich die Badewanne, die nächsten zwei Wehen blieb ich nach vorne aufgestützt im Badezimmer stehen. Weil ich mich nicht mehr bis ins Wohnzimmer bewegen wollte, wurde der Hocker vor die Badewanne gestellt. Mein Mann setzte sich auf den Badewannenrand und stützte mich von hinten. Um 15 Uhr 10 wurde der Kopf sichtbar. Als der Kopf um 15 Uhr 15 geboren wurde, spürte ich ein starkes Brennen. Wie aus weiter Ferne nahm ich war, dass das Kind bereits ein zartes Wimmern von sich gab und Martina sagte, es hätte Haare. Der Abstand zur nächsten (letzten) Presswehe war länger als bisher. Diesen Augenblick verbrachten Martina, mein Mann und ich in völliger Ruhe und Erwartung und ich sammelte nochmals meine Kräfte. Als das Kind um 15 Uhr 20 geboren wurde, forderte mich Martina auf, es gleich aus mir heraus aufzunehmen. Ich musste mich aber auch bei der Geburt der Beine noch so auf das Brennen konzentrieren, dass ich zu Martina sagte, sie solle das Kind in Empfang nehmen (später tat es mir ein wenig leid, das nicht selbst gemacht zu haben, obwohl ich weiß, dass es in jenem Augenblick richtig für mich war). Als mein Mann freudig ausrief „ein Mädchen!“, wurde das Kind für mich Wirklichkeit und jetzt wollte ich unsere Kleine so rasch wie möglich in meinen Händen halten: ein unbeschreibliches, unfassbares Gefühl, schon konnte ich es kaum glauben, diesen kleinen Menschen tatsächlich geboren zu haben!
 
Die Pressphase hatte eine gute Stunde gedauert; auch wenn ich mir manchmal gewünscht hatte, es möge bald vorbei sein, hatte ich doch gleichzeitig auch das Gefühl, diese Zeit zu brauchen und war froh, als mir Martina auf meine Frage hin versicherte, dass es dem Kind gut gehe und das „Tempo“ genau richtig sei.
 
Die Plazenta folgte 10 Minuten nach der Geburt unserer Tochter. Wir ließen die Nabelschnur auspulsieren, dann wurde sie von meinem Mann durchtrennt. Sie war relativ kurz, weshalb ganz zum Schluss anscheinend ein wenig Stress für unsere Tochter entstanden war und sich das letzte Fruchtwasser grün gefärbt hatte.
 
Ich war sehr froh, dass nichts genäht werden musste. Während mein Mann mit unserer Tochter im Arm durch unsere Wohnung spazierte, duschte ich mit Martinas Hilfe, verlangte nach einer tiefgekühlten Vorlage gegen die Schürfwunden und legte mich anschließend überglücklich mit unserem neuen Familienmitglied ins Bett. Sie konnte bereits nach wenigen Versuchen sehr gut saugen.
 
Mein Mann kaufte auf Martinas Anregung einige Stücke „Geburtstagskuchen“, die vor allem ich hungrig und mit großem Genuss verspeiste. Nachdem wir mit unseren Eltern und Geschwistern telefoniert hatten, brachte mein Mann das Nabelschnurblut zur Rhesusfaktor-Bestimmung in die Blutbank, während Martina unsere Tochter wusch, abwog und mir nackt wieder auf den Bauch legte. Ihre Geburtsgeschwulst verschwand innerhalb weniger Stunden. Als mein Mann um 19 Uhr zurückkam, trat Martina ihre lange Heimfahrt an.
 
Ich bin sehr, sehr dankbar dafür, dass alle nicht-beeinflussbaren und beeinflussbaren Faktoren dabei zusammengespielt haben, dass ich mein erstes Kind auf diese schöne, natürliche, stress- und angstfreie Weise in unserer Wohnung auf die Welt bringen durfte. Mein Mann, Martina und ich waren ein richtig gutes Team. Martinas Begleitung war für mich genau die richtige Mischung aus fachlicher Kompetenz und Einfühlungsvermögen. Sie hat Impulse für ein zügiges Fortschreiten der Geburt gegeben (z. B. Positionsveränderungen), ausschließlich positive Formulierungen verwendet, mich angespornt und gelobt, mit mir gemeinsam „Laute von sich gegeben“, meine Eigenverantwortlichkeit bestärkt und sowohl meinem Mann als auch mir viel Sicherheit gegeben.
 
Das Wochenbett zu Hause haben mein Mann und ich als wunderschön, einzigartig, irgendwie heilig empfunden. Mein Mann war als „Wochenbettmanager“ oft viel erschöpfter als ich, konnte aber durch die Möglichkeit, zu jeder Tages- und Nachtzeit bei unserer Tochter zu sein, sofort eine ganz innige Beziehung aufbauen. Wir sind sehr froh, dass wir so ungestört Zeit hatten, unser Kind kennen zu lernen und eine Familie zu werden. Von unserer Hebamme Sigrid wurden wir sehr gut betreut, sie gab uns Sicherheit und beantwortete alle auftretenden Fragen geduldig.