Beschnitten - an Körper und Geist

Ich sitze in der Sauna, will mich entspannen und höre ein GesprÃäch zwischen zwei Frauen, in das sich bald eine dritte und schließlich noch eine vierte einschaltet. Wir sind zu fünft. Mich schauen sie auch noch aufmunternd an, aber ich schweige.

Ich sitze in der Sauna, will mich entspannen und höre ein Gespräch zwischen zwei Frauen, in das sich bald eine dritte und schließlich noch eine vierte einschaltet. Wir sind zu fünft. Mich schauen sie auch noch aufmunternd an, aber ich schweige. Dabei machen sie deutlich, dass sie ein ganz wichtiges Frauenthema intensiv besprechen, das JEDE Frau angeht, da ist nichts mit Entspannung. Da geht es um martialische Praktiken, da geht es um Verstümmelung, da geht es um tiefstes Afrika. Und wir haben gefälligst alle solidarisch zu sein und uns zu echauffieren! Das gehört sich so, ja, das ist schlichtweg Common sense. Gerade die Woche zuvor war ich durch Buchhandlungen geschlendert und hatte mich gewundert, dass die populäre Beschneidungsliteratur weiterhin der große Renner zu sein scheint. Türme von Büchern schrien nach Lesern, nach Mitgefühl, nach Solidarität. Eine engagierte Buchhandlung machte auf Rüdiger Nehbergs Projekt gegen genitale Verstümmelung aufmerksam und auch Christa Müllers Organisation „Intact“ wurde erwähnt. Intensiv besprechen die Frauen die verschiedenen Praktiken von der „einfachen“ Klitorektomie bis hin zur sogenannten pharaonischen Beschneidung. Ich verlasse die Sauna vor der üblichen Zeit. Bald schon bin ich wieder von den Frauen – diesmal im Ruheraum – umgeben, die vom Thema nicht genug kriegen können und immer mehr Anhängerinnen finden, die sich mit ihnen zusammen tun. Das geht natürlich nur, indem auch die nette 84-Jährige und die unglaublich agile 87-Jährige in die barbarischen Beschneidungstechniken mit eingeführt werden. Verbal natürlich. Das muß ich dazu sagen, weil ich manchmal schon so etwas wie ein Rasiermesser zwischen den Fingern der Frauen blinken sehe, die am heftigsten gestikulieren und sich engagieren. Rein verbal, wie gesagt. Es blitzt in ihren Augen, wenn sie ausführlich darüber berichten, wie die Männer ihre frisch angetrauten Frauen in der Hochzeitsnacht aufschneiden. Manche meinen, dass besonders mitfühlende Männer das durchaus sanft machen können. Andere bezeichnen diese Männer einfach nur als Berserker. Obwohl die ja als Krieger im Bärenfell aus einer nordischen Sage stammen und somit nicht unbedingt ins äquatoriale Afrika passen. Ich hüte mich, hier irgend einen Einwand zu machen, der von der vorgegebenen Linie abweicht, da ich in Sorge bin, dass ich als unsolidarisch und damit als Feind von sofort aufsteigenden Abwehrflugzeugen abgeschossen werden könnte. Frauensolidarität kennt an diesem Frauensaunatag keine Grenzen, keine Generationsprobleme. Es geht also wieder von vorne los mit „einfacher“ Klitorektomie bis hin zur pharaonischen Beschneidung. Diesmal referiert eine Frau voller Stolz erstmals über dieses Wissen, das sie gerade zuvor in der Sauna erworben hat. Ich überlege, ob ich die Räumlichkeiten insgesamt verlassen oder es doch noch einmal mit einem Fußbad probieren soll, wahrscheinlich ist dort gerade niemand, weil sich hier der emotionale Höhepunkt der Damensauna abspielt. Oder soll ich vor der Zeit wieder in die Sauna? Ich entscheide mich fürs Fußbad und packe meine Sachen zusammen. Im Geiste steigen mir Bilder hoch von Geburten am Kreißbett, in denen die Hebammen während meiner Ausbildung mit den Assistenten streiten, ob jetzt geschnitten werden soll oder nicht. Selbstverständlich mache ich mich nicht über den Umstand dieser barbarischen Methode der weiblichen Genitalverstümmelung lustig, selbstverständlich höre ich im Geiste die Schreie der kleinen Afrikanerinnen, selbstverständlich ist das eine für uns Europäer äusserst schwer nachvollziehbare Prozedur und Tortur. Selbstverständlich unterstütze ich Organisationen, die sich vor Ort damit auseinander setzen und bei den Dorfältesten und Familien intensivste Aufklärungsarbeit leisten. Nicht selten schütteln wir den Kopf, dass die Mädchen nach diesem Ritual an ihnen verlangen und sich sogar darauf freuen, obwohl sie die Schreie ihrer Schwestern, Cousinen und Freundinnen durchaus hörten. Es gehört einfach dazu. Womit wir im Jahr 2006 in Mitteleuropa, genauer in der Bundesrepublik Deutschland angekommen wären. Inzwischen bersten die medizinischen Datenbanken über, was Studien über Episiotomien anbelangt. Es herrscht gütigster Konsens darüber, dass eine Episiotomie in der Regel, so überflüssig wie ein Kropf sind. Selbst bei BEL, selbst bei VE, zunächst selbst bei Schulterdystokie. Hier wird diese – siehe die Empfehlungen des Bundes Deutscher Hebammen zum Vorgehen bei Schulterdystokie - inzwischen empfohlen, wenn man mit den üblichen mechanischen Kniffen nicht weiter kommt und zu wenig Platz zum Eingehen vorhanden ist oder wenn sich die Schulterdystokie länger hinzieht. Die Hebamme Gisélè Steffen hat, als ehemals Betroffene, Pionierarbeit geleistet und noch VOR Eintritt des Internetzeitalters, also vor einem guten Jahrzehnt, hervorragend recherchiert, dass es selten eine Notwendigkeit für einen Dammschnitt gibt. Auch die in Apotheken ausliegende Zeitschrift Baby & Familie beschäftigte sich in der Septemberausgabe 2005 mit dem Thema und titulierte den Artikel für eine solche Zeitschrift recht klar mit „Nutzloser Schnitt“. Darin zitieren die Autoren auch die Studie der University of Carolina unter Leitung von Katherine Hartmann. Dazu wurden 45 Studien aus den vergangenen 50! Jahren ausgewertet. Die Wahrscheinlichkeit, dass Verletzungen genäht werden mussten lag bei Frauen mit Dammschnitt um 26 Prozent höher. Das Risiko einer postpartalen Inkontinenz konnte durch die Episiotomie nicht gesenkt werden und die Wahrscheinlichkeit von Fäkalinkontinenz verdoppelte sich in den ersten drei Monaten bei geschnittenen Frauen. Unter Schmerzen beim Verkehr litten sogar 53 Prozent mehr Frauen als solche ohne Dammschnitt. Hartmann bilanzierte: „Es gibt keine Gründe für Routine-Dammschnitte und sie sollten gestoppt werden“.

Und wie sieht die deutsche Wirklichkeit weiterhin aus? Es gibt nach wie vor Belegkliniken mit einer Episiotomierate von 50 bis 75 Prozent. Die durchschnittliche Rate bei Klinikgeburten wird mit 40 bis 60 Prozent angegeben. Mindestens jede zweite Frau verlässt ein deutsches Krankenhaus nach ihrer Geburt hierzulande mit einem Dammschnitt, der meistens überflüssig war und die Morbidität der Frauen beträchtlich erhöht. Aufzuzählen wären hier noch viele Studien, gerade die um den kanadischen Arzt Dr. Michael Klein möchte ich hervor heben, der als einer der ersten Ärzte überhaupt den Sinn von Episiotomien in Frage stellte und Antworten suchte. Eindrücklich sind seine Zahlen u. a. bei der Anzahl der Dammrisse dritten und vierten Grades – hier traten 52 von 53 hochgradigen Dammrissen nach Episiotomien auf. So sind wir inzwischen an einem Punkt angekommen, an dem es kaum noch sinnvoll erscheint Geld, Zeit und Kraft in den Beweis zu stecken, dass Episiotomien als Routineeingriff vor allem bei der beliebten Indikation „drohender Dammriss“ überflüssig sind, sondern zu überprüfen, wie eine Episiotomie vermieden werden kann: Durch aufrechte Gebärhaltungen, durch engagierte Dammvorbereitung, durch Geduld, durch Abkehr vom Routine-Dauer-CTG, bei dem jeder winzigste Herztonabfall aufgezeichnet und als Brandmal in den Augen mancher überängstlicher GeburtshelferInnen steht und sie leicht zu forciertem Kristellern bei zuvor geschnittener Episiotomie verleitet. Ebenso bedarf es einer eindrücklichen Informationsvermittlung an die Frauen, nach der Dammschnittrate des von ihnen bevorzugten Krankenhauses zu fragen. Prof. Christoph Anthuber, Chefarzt am Klinikum in Starnberg ist der Meinung, dass „Schnittraten von mehr als 30 Prozent heute nicht mehr akzeptabel sind“. Wie er auf diese Zahl kommt, lässt er leider offen. Er selbst gibt für seine Klinik, wie auch für das Klinikum München-Großhadern eine Rate von sechs bis elf Prozent an. Es scheint zu zeigen, was der häufigste operative Eingriff in der deutschen Geburtshilfe vor allem ist: Eine Modeerscheinung, die zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts durch die Zunahme der Klinikgeburten und der beginnenden Medikalisierung ihren Siegeszug antrat. Inwiefern Hebammen mit ihrer seltsamen Dammschutzpolitik, dem Bremsen von was eigentlich, wenn wir an die gewaltigen Schubkräfte denken und dem Fesseln der Frauen auf das Kreißbett, um das alles zu bewerkstelligen, hier mitwirken, können wir ja mal an anderer Stelle diskutieren. Wichtig wäre auch, knappe Pro-Episiotomie-Argumente, die es in jedem Fall gibt – siehe das nicht Weiterkommen bei Schulterdystokie, auch die fetale Bradykardie in der AP zähle ich dazu – zu diskutieren und an alle Hebammen als Empfehlungen weiter zu geben. Dass Kliniken die „niedrige“ Episiotomierate der außerklinischen Geburtshilfe (2004 waren es in der QUAG-Erhebung 6,1 Prozent) verwunderlich finden, finde ich anhand ihrer Zahlen nicht verwunderlich, als Hausgeburtshebamme jedoch schon. Warum erhalten 6,1 Prozent aller außerklinisch gebärenden Frauen einen Dammschnitt? Auch das können wir ja mal näher untersuchen. 6,1 Prozent könnte ich mir langfristig für ein Perinatalzentrum als Episiotomierate vorstellen, zumal Prof. Anthuber diese Zahlen für große Kliniken wie Großhadern oder Starnberg bestätigt.

So liegt es nahe, wenn sich Frauen hierzulande auch mal über den Misstand des - meist überflüssigen Schnittes - in die weibliche Genitalregion echauffieren könnten. Hat dieser doch eines mit den barbarischen Vorgängen in Afrika gemeinsam: Er ist ein Ritual, eine Gewohnheit und zwar eine altbekannte. Mit der Ausnahme, dass unser Ritual viel jünger ist. Die Episiotomie wurde im 18. Jahrhundert von einem irischen Arzt erfunden.>>>Martina Eirich>>>>>>