(Geburts)Angst aus Hebammensicht

„Man muß vor nichts im Leben Angst haben, wenn man seine Angst versteht“

Marie Curie (1867 – 1934) Physikerin, Chemikerin und Nobelpreisträgerin

 

Der Katalog A – Anamnese und allgemeine Befunde des Mutterpasses weist 26 Risikofaktoren auf.

„Man muß vor nichts im Leben Angst haben, wenn man seine Angst versteht“
Marie Curie (1867 – 1934) Physikerin, Chemikerin und Nobelpreisträgerin

Der Katalog A – Anamnese und allgemeine Befunde des Mutterpasses weist 26 Risikofaktoren auf. Über 80% aller Schwangeren gelten inzwischen, auch dank Heuschnupfen und über 35 Jahre alt, als risikoschwanger. Als wesentlich gewichtigeren Faktor, der im Katalog vollkommen fehlt, sehe ich die Geburtsangst an. Geburtsangst aufgrund einer vorangegangenen traumatischen „Entbindung“, eines Mißbrauchs, einer Vergewaltigung und/oder einer iatrogenen Genese - durch Arzt, Hebamme und Medien ausgelöst. In Filmen lassen Regisseure das Blut spritzen, die schockige Frau nahezu krepierend in Käferhaltung verharrend. Während der Vorsorge bemühen manche Ärzte ein Gruselkabinett an Ängsten und Self-fulfilling-prophecies, indem sie Frauen mit Hausgeburtswunsch und OHNE Risikofaktoren mit Rotstift: Dringend vor den Gefahren einer Hausgeburt gewarnt hinein schreiben oder viele Wochen vor der Geburt aufgrund eines im Vergleich zu den anderen Werten minimal größeren Schulterquerdurchmessers und Normgewichtes beim Kind CAVE: Hausgeburt - Schulterdystokie vermerken oder emsig nach Nabelschnurumschlingungen fahnden, um sie den schockierten Eltern mit aller Deutlichkeit und dem Hinweis auf das Wegerisiko bei einem sich zuziehenden Strick um den Hals ihres Kindes um zu stimmen oder gleich schwarze Magie bemühen „eine Hausgeburt wollen Sie, ja wenn sie auch mit einem toten Kind leben können“. Bei dieser Angstinflation, die durch billigste Fernsehsoaps noch weiter geschürt wird, wundert es nicht, dass schließlich auch Zeitschriften als Mittel gegen Geburtsangst vor allem eine PDA und den Wunschkaiserschnitt propagieren. Hebammenkunst in Form einer geduldigen, vorausschauenden und wissenden Begleitung gilt weithin als unbekannt – auch bei machen Geburtshelfern. Zeit, sich der Thematik anzunehmen.
Beispiel:
Vor wenigen Jahren, auf dem Höhepunkt der Wunschsectiodebatte riefen mich zwei miteinander befreundete Frauen an, die wenige Wochen voneinander Geburtstermin hatten. Beide studierend, beide jung, hübsch und frisch verheiratet mit attraktiven, karriereorientierten Männern in den besten Jahren. Sie seien hin und her gerissen zwischen Wunschkaiserschnitt und Hausgeburt legten sie los. Jetzt wollten sie sich einmal ein Bild von einer Hausgeburtshebamme machen, eines von den Kliniken im Großraum und manchem Chefarzt hätten sie sich schon gemacht. Da sie sich im Doppelpack gemeldet hatten, bestellte ich sie auch im Doppelpack in meine Praxis ein. Marietta und ihr Mann waren die Federführenden. Für beide war es das erste Kind. Marietta fiel durch ihr ausgeprägtes Körpergefühl auf und eine gute Kopf-Bauchverbindung. Sie beschrieb sehr dezidiert und ehrlich ihre Gefühlswelt. Das Paar befand sich in einem ausgezeichneten Flow zueinander. Ganz offen und sehr natürlich sprachen sie von ihrer glücklich gelebten Sexualität, die sie auch in der Schwangerschaft den Umständen entsprechend lebten und von daher, erklärte Marietta, „passt eine Hausgeburt auch irgendwie total gut zu uns“. Ganz offen sprach Marietta aber auch über ihre Angst vor der Geburt: Mein Bruder ist angehender Gynäkologe und erzählt oft bis ins kleinste Detail von den schrecklichsten Begebenheiten, dass eine Frau fast verblutet wäre, wenn sie nicht so schnell gehandelt hätten oder das Kind gestorben wäre, wenn der Kinderarzt nicht sofort zur Stelle gewesen wäre. Er empfehle deshalb eine Wunschsectio. Dann fielen ihr jedoch wieder die schönen Geburten ihrer Großmutter ein, die zuhause blieb und vom Gegenteil berichtete. Sie war  hin und her gerissen. Ihr Mann Werner gab an, dass er ihr bei der Entscheidung nicht helfen könne. Sie müsse wissen, wie und wo sie ihr Kind bekommen möchte, stehe dann aber voll hinter ihr.
Sabine war ein ganz anderer Typ. Sehr kontrolliert berichtete sie von ihren Vorstellungen von Geburt, die schon eher in Richung geplantem Kaiserschnitt – perfekt, sauber, planbar, gingen. Doch Marietta hätte ihr einen Floh ins Ohr gesetzt mit der Hausgeburt, zumal eine Narbe ja auch nicht das Gelbe vom Ei sei und damit hätte sie hinterher als sehr auf ihr Körperbild Bedachte schon zu kämpfen. Ihr Mann hatte aus erster Ehe zwei erwachsene Töchter, deren Geburt er als äusserst traumatisch in Erinnerung behalten hatte: „Wenn sich meine Ex-Frau nicht gleich nach der zweiten Geburt zu einer Sterilisation bereit erklärt hätte, hätte ich es getan. So etwas wollte ich nicht noch einmal erleben“. Inzwischen sei aber über die Jahre etwas Gras darüber gewachsen, aber „o.k.“ fände er seine Einstellung zu einer natürlichen Geburt nicht.
Ich informierte die Paare über die Unterschiede zwischen ärztlicher und Hebammenvorsorge, den Ablauf einer Hausgeburt, Besonderheiten, Verlegungssituation und stellte ihnen nach Durchsicht des Aufklärungsbogens noch kurz QUAG vor. Ich hatte kaum die letzte QUAG-Zahl zur Verlegungsrate von Neugeborenen angesprochen, da meldete sich Marietta spontan zur Hebammenvorsorge und zur Hausgeburt bei mir an. Mein Konzept habe sie überzeugt. Sabine stand nun sichtlich unter Druck, was mir nicht behagte. Ich berichtete von meinen Erfahrungen mit Hypnose und erklärte, dass ich an ihnen beiden sehr gut die unterschiedlichen Angsttypen an Frauen sehen könne: Die eine, der eine ausführliche und faire Information sofort die Entscheidung für oder gegen eine Hausgeburt erleichtert und die ihr aufgrund der oft einseitigen und angstmachenden Aufklärung von Seiten mancher Gynäkologen fehle. Auf der anderen Seite die Angst, die tiefer liegt und beispielsweise über Hypnose aufgedeckt werden könne. Sabine merkte auf und wir vereinbarten einen Termin für eine Sitzung. Ich führte sie sehr vorsichtig über eine Phantasiereise ein. Sie benötigte einige Zeit, um in Trance zu gelangen und über meine begleitende Moderation näherten wir uns des Pudels Kern. Darin kamen sehr unschöne Erlebnisse mit ihrem ersten Freund zutage, von dem sie sich sexuell zu manchem genötigt fühlte. Schnell sei noch eine Bulimie dazu gekommen, die sich auch heute noch in Phasen, in denen sie das Gefühl habe, die Kontrolle zu verlieren zeige: „Ich brauche sie, um zumindest mich im Griff zu haben“. Erleichternd kam hinzu, dass Sabine eine längere Gesprächstherapie hinter sich hatte, die ihr vieles bewusst gemacht hatte. Ich fragte sie, ob sie Bilder sehe, Melodien höre oder Gefühle verspüre, wenn sie an die bevorstehende Geburt denke. Sie kam jedoch immer wieder auf ihre sexuellen Erlebnisse zurück und ich fragte sie, was ihr fehle, um mit ihnen Frieden zu schließen. Nach langem Zögern antwortete sie: Er muß einfach wissen, wie es mir ging. Zuhause führte Sabine die Sitzungen selbständig weiter und hielt dabei Zwiesprache mit ihrem früheren Freund. Sie sprach sich dabei ihre Gefühle von der Seele und erkannte immer mehr, dass ihr Freund sie nicht unbedingt dazu gezwungen hätte, wohl aber eine mangelnde Sensibilität ihr gegenüber an den Tag gelegt habe. Ein generelles Problem von ihr sei sowieso, dass sie ihre Bedürfnisse oft hinter die anderer stelle und weniger sensible Mitmenschen ließ sie dadurch öfter im Unklaren: „Kein Wunder, dass er mich verletzen konnte“. Da auch ihr Mann nicht ohne Ängste vor der Geburt stand, diskutierten wir, wie er damit umgehen könne. Schließlich entschieden sich beide für eine Hausgeburt, aber gegen sein Beisein. Marietta könne dabei sein oder eine andere Freundin.
Marietta gebar binnen weniger Stunden ihr Kind. Die ersten Zentimeter verbrachte sie weitgehend liegend und kraftsparend.. Als sie ab etwa 5 cm Muttermundweite anfing zu tanzen, riefen wir spontan Sabine hinzu, die gebannt ihrer Freundin beiwohnte. Als Marietta in der Übergangsphase unleidlich und aggressiv wurde, bekam es Sabine mit der Angst zu tun. Ich erklärte ihr leise, dass sich das Kind jetzt gleich mit den Preßwehen auf den Weg aus seiner Höhle machen würde und die dafür nötigen Hormone zu einer gewissen Aggressivität führen könnten. Sie wurde ruhiger. Nach einer guten Stunde Schieben war Zoé da. Sabine weinte laut schluchzend und unkontrolliert, wofür sie sich gleich entschuldigte. Als Wochen später Sabines Geburt anstand, benötigte sie ein Vielfaches an Zeit im Vergleich zu ihrer Freundin: IHRE Gebärzeit. Da Linus immer fit blieb, war es auch kein Problem, dass seine Mutter knappe drei Stunden für sein Heraus schieben benötigte. Im Wochenbett erzählte sie, dass sie während des Schiebens ihre Kontrolle als deutlichen körperlichen Schmerz gefühlt habe: „Das hat was mit mir gemacht und ich bin mir sicher, dass es beim nächsten Kind leichter und schneller geht“. Sehr geholfen habe ihr auch Mariettas Geburt, vor allem deren gelebte Aggressivität. „Dass Du als Hebamme das so gelassen ausgehalten und sie sich damit auch nicht geschadet hat, ich hätte einfach Angst vor einer ablehnenden Haltung der Hebamme gehabt, das war für mich eine richtige Erleuchtung“.
Geburtsängste und deren Begleitung in der Schwangerschaft, so wie die nachfolgende Geburt zeigen auch anhand der vor Interventionen nur so strotzenden Statistiken, dass das Gros der heutigen Schwangerenbegleitung als absolut insuffizient zu betrachten ist. Dahinter stecken neben monetären Beweggründen bei immer geringerer Schwangerenzahl auch eine Unwissenheit um die physiologischen Vorgänge während Schwangerschaft und Geburt, die in mechanische, lineare Zahlen gepresst der Individualität von Gebärenden selten gerecht wird. Daraus resultiert eine große Interventionsrate, die sich wiederum ertragssteigernd für die Klinikträger auswirkt, um im Gegenzug bei den so entbundenen Eltern Ängste und Traumata zu verursachen. Diesen vergeht dadurch nicht selten die Lust an einem weiteren Kind, was als einer von vielen Punkten die Geburtenrate weiter zum schrumpfen bringt und so als Perpetuum mobile perfekt funktioniert.
Warum hören wir Hausgeburtshebammen dagegen häufig den Satz: „Eigentlich sollte das unser letztes Kind sein, aber die gesamte Begleitung war so schön und entspannend im Vergleich zu meinem ersten Kind, bei dem ich mich von Anfang bis Ende kontrolliert und gegängelt gefühlt habe, ich bin mir sicher, dass wir uns beruflich wieder sehen“.
Dazu gehört eine Begleitung, die von uns Geburtshelfern ein großes Maß an Selbstkritik verlangt und eine Großzügigkeit, was monetäre Beweggründe anbelangt. Die Frau steht im Mittelpunkt und nicht ein egoistischer Wunsch nach einer Geburt mehr, ist seit Jahren meine Maxime. Jedem Paar lege ich die Infoabende der umliegenden Kliniken nahe, dass sie sich vollkommen unbefangen ihren Geburtsweg aussuchen können. Ebenso den Hinweis auf weitere Hausgeburtskolleginnen. Jegliches Verhaften und Zwingen sehe ich auch als kontraproduktiv für meine Arbeit und mein persönliches Fortkommen an. Werde ich von Paaren nicht mehr nachgefragt, scheine ich auch nicht mehr die richtige Geburtsbegleiterin zu sein und sollte an mir arbeiten oder mich auf eine andere berufliche Reise begeben. So geht es bei der Angst auch immer um unsere ureigenen Ängste als Geburtshelfer: Geld, Überleben, Unwissenheit gegenüber physiologischen Vorgängen und dem nicht zugeben wollen, Toleranz gegenüber dem anderen, Eingestehen egoistischer Motive und Auffütterung eines mageren Selbstbewusstseins durch das Schaffen von Ängsten und Abhängigkeiten. Die eine Angst nährt somit die andere. Erst wenn wir uns diese eingestehen und ihnen ehrlich ins Auge blicken verstehen wir sie und müssen uns vor ihnen auch nicht mehr fürchten. Die Frauen danken es uns mit angstfreieren, schöneren Geburten, mehr Gebärfreude und schenken uns damit (noch) mehr Lust an der Arbeit. Der Weg liegt offen vor uns. Auf geht´s!